Die Kirche liegt exponiert, in einem Mittelstandsquartier am äussersten Rand der regierungsgesicherten Zone in der Innenstadt von Damaskus. Ein paar Strassen weiter beginnen bereits die Arbeitervorstädte. Mit dem Krieg in Syrien wurden diese Vorstädte zur Kampfzone.
In der melkitischen griechisch-katholischen Marienkirche am Abbassidenplatz beten die Gläubigen während einer Maiandacht. Vor dem Altar steht ein blumengeschmücktes Bild von Maria, der Mutter von Jesus. Der Kirchenchor bittet im Gesang um den Beistand Gottes in der Zeit des Krieges, von dem auch die Mitglieder des Chors direkt betroffen sind.
Jeder kennt die Todesopfer
Bei Pater Elias hängt im Büro ein Jesus-Bild. Im Rahmen des Bilds stecken Fotos von jungen Menschen, etwa von Shadi, Pharmaziestudent, der jeden Abend die Chormitglieder im Gesang anleitete. Eines Abends wurde er von einer Granate getötet, die nur ein paar Meter vor der Kirche einschlug, erzählt Pater Elias.
Oder die beiden zwölf Jahre alten jugendlichen Sänger. Auch sie wurden getötet, als sie den Abbassidenplatz überqueren wollten.
Am Anfang hätten sie alle grosse Angst gehabt, sagt die 25-jährige Eva. Sie singt im Chor, seit sie ein Kind ist. Regelmässig habe sie sich auf dem Weg zur Kirche in beliebige Häuser geflüchtet, um vor den Granateneinschlägen Schutz zu suchen.
Christen sind höchstens geduldet
Seit März gilt eine Waffenruhe im Zentrum von Damaskus. Seither ist es ruhiger geworden am Abbassidenplatz. Aber in den nahen Vorstädten halten die Kämpfe unvermindert an. Die stärksten Rebellengruppen sind die Salafisten. Sie werben für ein Syrien nach den strengen Gesetzen der Scharia, in dem Christen bestenfalls geduldet, aber kaum mit gleichen Rechten akzeptiert würden.
Pater Elias versucht die Hintergründe des Kriegs in Syrien zu erklären, so wie er es sieht: Es gehe nicht um den Aufstand des Volkes gegen eine autoritäre Führung – es gehe um krude Machtinteressen. Die islamistischen Rebellen seien die Schergen des Westens, der seine saudischen und türkischen Verbündeten mobilisiert habe, um Syrien zu zerschlagen und damit Israel zu stärken. Das Versagen des syrischen Assad-Regimes ist für Pater Elias dabei bedeutungslos – das seinerseits von Iran und Russland unterstützt wird.
Die Saat der Intoleranz und das Gift des religiösen Hasses
Im Büro des Paters hängt neben dem Christus-Bild auch ein Foto von Präsident Baschar al-Assad. Der syrische Staatschef kam im Dezember persönlich mit seiner Frau in die Marienkirche auf einen Blitzbesuch um der christlichen Gemeinde Syriens seine Solidarität zu bezeugen.
Aber die Saat der Intoleranz sei in Syrien aufgegangen und der Extremismus habe sich ausgebreitet, erklärt Habib, auch er Sänger im Kirchenchor. Der Radiologe musste seine Stelle aufgeben, weil die Rebellen seine Geräte für ihre eigenen Krankenstationen beschlagnahmten.
Wer von den Christen in Damaskus bleibe, habe nur Gott und die Kirche, sagt Sänger Khalil. Seine Frau Miriam widerspricht ihm: «Wir haben auch einen Staat.» Was aber nicht heisse, dass die Christen Kriegspartei an der Seite des Regimes sei, wirft Claudia ein, auch sie Chorsängerin. Es geht nicht um Christen oder Sunniten oder Schiiten, sondern um reine Machtinteressen, argumentiert auch sie. Doch das Gift des religiösen Hasses sei bereits im Land.
«Wir sind schwach, lassen uns einspannen», sagt sie. Eine Hoffnung glaubt Claudia aber doch zu erkennen. «Wir Syrer kennen uns nun. Wir haben in alle Abgründe gesehen und können uns nichts mehr vormachen.» Wenn Syrien aus diesem Alptraum erwache, werde das Land ehrlicher sein, und deshalb stärker.
Doch weiterhin deutet nichts darauf hin, dass dies bald ein Ende hat. Auch in den kommenden Tagen wird die Marienkirche wieder voll sein mit Gläubigen zu einer weiteren Maiandacht. Und der Kirchenchor wird um Gottes Beistand bitten. Und um Frieden für Syrien.