Im Schneidersitz sitzt die junge Frau auf ihrem Bett, angelehnt an eine Wand im fensterlosen Schlafzimmer. Im Raum nebenan hat ein Polizist seine Beine ausgestreckt und schaut sich Filme auf dem Handy an. Er ist zu ihrem Schutz hier.
Denn sie wurde am 13. Juli zum zweiten Mal vergewaltigt von denselben Männern wie schon 2103. Im Juli hatte sie noch keinen Polizeischutz. Um sich zu schützen, nennt sie ihren Namen gegenüber Journalisten nicht. Die fünf Männer nannten sie Gudiya (Puppe).
Wie geht es ihr? Sie weiss es nicht
Die ganze Familie ist im Schlafzimmer versammelt. Mutter, Vater, Bruder und ein Cousin, alle berichten was genau wo, wann passierte. Die 20-Jährige schweigt und klammert sich an ihren zerzausten Teddybär. Früher war er mal pink und weiss. Auf die Frage, wie es ihr gehe, sagt sie: «Ich weiss es nicht. Ich lebe und ich kann sprechen.»
Wenn sie spricht, presst sie die Worte heraus. Mit dem Polizeischutz fühle sie sich manchmal sicherer. Manchmal nicht. Nur drei der fünf Männer sind in Untersuchungshaft, die anderen beiden laufen frei herum. Dabei hat sie alle Täter identifiziert.
Die Frauenrechtsanwältin Vrinda Grover wirft der Polizei Befangenheit vor. Die junge Frau habe nach dem ersten Übergriff den Wohnort gewechselt und sei in eine andere Schule gegangen. Dennoch konnten dieselben Männer, die auf Bewährung entlassen wurden, ihrem Opfer wieder auflauern. Vor ihrer Schule und das nur 50 Meter von der örtlichen Polizeistelle entfernt.
Stumm vor Angst
«Sie standen vor mir und lachten. Ich fühlte mich wie betäubt. Sie zerrten mich in ein Auto, in dem die anderen Drei warteten. Ich wusste, was passieren wird. Du willst schreien, aber du kannst nicht. Du willst weinen, aber du kannst nicht» sagt sie, schweigt dann und schiebt das Mikrophon von sich weg.
Der Staat konnte die junge Frau nicht schützen. Dabei gab es 2012, nach der Gruppen-Vergewaltigung, die eine junge Frau das Leben kostete und international für Schlagzeilen sorgte, eine grundlegende Rechtsreform für Vergewaltigungsopfer, erklärt die Anwältin Vrinda Grover: «Die Definition von Vergewaltigung wurde erweitert. Vor 2012 galt nur unfreiwilliger Geschlechtsverkehr als Vergewaltigung. Heute sind auch Vergehen wie Belästigung, Stalking, oder Entkleidung strafbar.»
Weiter wurde eine Mindeststrafe von sieben Jahre eingeführt und weitere sexuelle Handlungen für strafbar erklärt.
50 Prozent mehr Fälle angezeigt
Nach 2012 schnellte die Zahl an gemeldeten Vergewaltigungen um fast 50 Prozent nach oben. Ob es tatsächlich mehr Vergewaltigungen gibt, oder ob Vergewaltigungen einfach häufiger gemeldet werden, kann Anwältin Grover nicht sagen.
Was man aber mit Sicherheit sagen könne ist, dass nicht weniger Vergewaltigungen stattfinden. Zwar gebe es heute strengere Gesetze, aber grosse Probleme bei deren Anwendung, sagt Grover. Die Verhandlungen dauerten oft zu lange, die Opfer würden unter Druck gesetzt, vor Gericht nicht auszusagen.
Versuch der Bestechung
Auch auf die junge Frau in Haryana, die sich an ihren Teddybär klammert, wurde Druck ausgeübt weil sie nach der ersten Vergewaltigung Anzeige erstattet hatte. 5 Millionen Rupien wurden ihr angeboten, über 70'000 Franken. Doch sie hat abgelehnt. Die grausame Reaktion ihrer Peiniger kam am 13 Juli. «Sie haben mich zum zweiten Mal vergewaltigt, damit ich die Anklage fallen lasse.»
Die junge Frau machte das Gegenteil. Sie hat erneut Anzeige erstattet. Nun sind beide Fälle vor Gericht.