Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag prüft Hinweise auf systematische Kriegsverbrechen der britischen Armee während des Irakkriegs. Soldaten könnten demnach zwischen 2003 und 2008 planmässig Kriegsgefangene misshandelt und gefoltert haben, teilte das Gericht am Dienstag mit.
Klage gegen England eingereicht
Im Januar hat ein Domizil für Menschenrechte und ein Anwaltskollektiv eine Klage gegen die britische Regierung eingereicht. Die Anwälte forderten Anzeige und Ermittlungen gegen hochrangige britische Kommandeure, damalige Minister und Staatssekretäre.
Es sollen rund 60 Iraker von britischen Soldaten hingerichtet worden sein. Ausserdem seien über 170 irakische Gefangene in einem Geheimgefängnis gefoltert worden, unter anderem durch tagelangen Schlafentzug. Andere hätten in erniedrigenden Positionen stundenlang auf Knien ausharren müssen, seien in nur einen Quadratmeter grosse Zellen gesperrt worden oder seien von Soldatinnen sexuell erniedrigt worden. So lautet die Anklage. «Hier würde es sich ganz klar um Kriegsverbrechen handeln», sagt SRF-Korrespondent Martin Alioth in England.
Einer der bekanntesten Fälle ist der des Irakers Baha Mousa, der in britischer Haft umkam. Eine Untersuchung hatte ergeben, dass gegen ihn Methoden angewandt worden waren, die nicht mit der Genfer Konvention vereinbar sind.
England bestreitet systematischen Missbrauch
Der britische Generalstaatsanwalt Dominik Grieve, der dem Kabinett in London angehört, bestritt, dass es systematischen Missbrauch gegeben habe. «Die britischen Truppen gehören zu den besten der Welt und wir erwarten, dass sie nach höchsten Standards handeln, in Übereinstimmung mit nationalem wie internationalem Recht», sagte er. Er hat aber versprochen, mit dem Strafgerichtshof zu kooperieren. Heisst: Er will dem Gericht zeigen, dass die britische Justiz dieselben Vorwürfe bereits untersucht. Denn nach internationalem Recht darf der Strafgerichtshof nur eingreifen, wenn die nationalen Behörden nicht ausreichend ermitteln.
«Es gibt eine Spur bis ganz nach oben»
«Es gibt klare Hinweise, dass diese Sache bis ganz nach oben geht», sagte Paul Shiner, einer der Menschenrechtsanwälte, dem Sender «Sky News». In dem Papier sind mehrere hochrangige britische Politiker und Militärs namentlich genannt, darunter auch der frühere Verteidigungsminister Geoff Hoon.
Bereits 2009 - 2011 wurden Anhörungen zu Folterungen in irakischen Gefängnissen durchgeführt. Auch der damalige Premierminister Tony Blair musste aussagen. Der Bericht dazu ist noch nicht publiziert. «Meines Wissens gibt es auch kein Publikationsdatum», sagt Alioth.
Aus Spargründen wahrscheinlich kein Kriegseinsatz mehr
Die Konsequenzen auf militärischer Ebene sind klein, glaubt Alioth. Es seien Entscheide gefällt worden, vor allem aus Spargründen: Die britische Militärkapazität sei für derartige Auslandeinsätze stark geschrumpft. Die letzten Truppen seien noch in einer Festung in Afghanistan. Ende Jahr kommen auch sie zurück. «Weil sich England in Syrien nicht engagiert, könnte der Irak das letzte militärische Abenteuer für England gewesen sein», sagt Alioth.