Zwei Jahre nach Abzug der US-Truppen aus Irak setzt sich Al Kaida mit Hilfe sunnitischer Aufständischer richtig fest. Letzter Höhepunkt: Der Einmarsch islamistischer Extremisten der Al Kaida in den sunnitischen Städten Falludscha und Ramadi.
Ein Machtvakuum in einer derartigen Dimension sei nach dem Abzug der Amerikaner Ende 2011 nicht zu erwarten gewesen, stellt der Politologe Stephan Bierling von der Universität Regensburg gegenüber SRF fest. Dass sich die Lage derart dramatisch entwickeln konnte, schreibt der Irak-Experte dem Syrien-Konflikt und dem dortigen Bürgerkrieg zu.
Sunniten müssten beteiligt werden
Bierling erinnert daran, dass Präsident Nura Al Maliki im Oktober 2011 das Angebot Obamas ausgeschlagen hat, US-Resttruppen von 10'000 bis 15'000 Mann im Land zu belassen. Dieses Veto habe sich als falsch erwiesen. Die mit nationaler Souveränität begründete Haltung sei gründlich schiefgegangen. Maliki habe sich überschätzt.
Die von den USA angekündigte Lieferung von Waffen wie Raketen und Aufklärungsdrohnen an die Regierung in Bagdad wird nach den Worten des Irak-Experten das Problem nicht lösen. Erst wenn Maliki gleichzeitig die von den USA seit fünf Jahren geforderte politische Beteiligung der Sunniten an die Hand nehme, bestehe eine Chance. Denn letztere würden weiterhin systematisch benachteiligt und marginalisiert.
«Im Moment können sich die Aufständischen in diesen Regionen festsetzen, weil viele Sunniten im Dreieck um Falludscha und Ramadi mit den Aufständischen sympathisieren», betont Bierling. Solange Maliki weiterhin sehr stark auf die rein schiitische Karte setze, werde man den Aufständischen und auch den sunnitischen Unterstützern von Al Kaida das Wasser nicht abgraben können.
Zwei Gruppen von Aufständischen
Die Aufständischen können laut Bierling in zwei Gruppen unterteilt werden. Zum einen die radikalen Islamisten im Fahrwasser von Al Kaida, die jetzt Ramadi und Falludscha zeitweise übernommen haben.
Bei den anderen Aufständischen handelt es sich um sunnitische Scheichs, die politische Beteiligung mit Gewalt erzwingen wollen. Letztere könnten gemäss Bierling allenfalls aufgefangen werden. Dies sei den Amerikanern 2007 und 2008 mit der Aufstockung der Truppen gelungen. Man habe gemeinsam die Al Kaida vertrieben.
«Im Moment gelingt Maliki allerdings sehr wenig, weil er diesen Aufständischen keine politische Perspektive im Land anbietet.»
Afghanistan mit ähnlicher Perspektive
Bierling geht davon aus, dass die Eskalation der Gewalt in Irak auch Auswirkungen auf die Afghanistan-Politik der USA haben wird. Dort wird zurzeit darüber gestritten, wie viele US-Soldaten nach dem Abzug der Kampftruppen in diesem Jahr im Land bleiben sollen. Eine solche Streitmacht von ungefähr 10'000 amerikanischen oder internationalen Truppen könne gemäss Bierling im Notfall eine Machtübernahme der Taliban oder sogar Al Kaidas verhindern.