SRF: Welche Motive hat der Iran, im Nachbarland Irak gegen die Terroristen des sogenannten Islamischen Staates IS vorzugehen?
Ulrich Tilgner: Iran hat ein ganzes Bündel von Interessen im Irak. Zunächst geht es Teheran darum, seine Grenze zum Irak zu sichern, denn der IS ist im Osten des Iraks in letzter Zeit immer näher an die irakische Grenze herangerückt. Dort erfolgten ja nun auch die iranischen Bombardierungen. Zweitens geht es Teheran um die Unterstützung Bagdads. Und schliesslich will der Iran im Irak eine Gegenposition zu den USA aufbauen und zeigen, dass er ein Machtfaktor ist.
Geht es also ausschliesslich um Machteinfluss, oder fürchtet sich der Iran auch vor dem IS?
Primär geht es dem Iran um Machteinfluss. Man erinnere sich an die Situation nach den letzen Wahlen im Irak: Die USA forderterten Ministerpräsident Maliki zum Rücktritt auf. Dieser zog sich aber erst zurück, als es aus Teheran hiess, dass man ihn nicht mehr stütze. Daran kann man erkennen, wie stark die Stellung des Irans im Irak ist. Dies wird durch die nun erfolgten Luftangriffe durch den Iran auch demonstrativ unterstützt.
Ich gehe davon aus, dass die Konkurrenz zunimmt.
Der Iran unterstützt die schiitische Regierung im Irak ja auch ganz offiziell. Ist in dem Fall anzunehmen, dass die Angriffe mit Bagdad abgesprochen waren?
Davon muss man ausgehen, doch der Iran wird sich da nicht gross dreinreden lassen. Derzeit findet eine irakische Offensive nahe der iranischen Grenze gegen den IS statt. Die irakisch-schiitischen Milizen werden von einem iranischen General kommandiert. Eigentlich konkurrieren die Milizen untereinander. Aber wenn ein Ausländer, der Einfluss auf die einzelnen Milizen hat, diese befehligt, dann kooperieren sie auch. Dies macht auch den Erfolg der iranischen Unterstützung für den Irak aus. Neu sind insofern nur die iranischen Luftangriffe, am Boden unterstützt der Iran die irakischen Kräfte schon lange.
Wie gross ist denn der Einfluss des Irans im Irak?
Teheran hat ein Interesse daran, dass es im Irak eine schiitische Regierung gibt. Der Iran ist ja das grosse Land der Schiiten, und mit dem Irak hat man nun einen zweiten Staat, der von Schiiten gelenkt wird. Ich würde sogar sagen, dass es eine Art Mitspracherecht der Iraner im Irak gibt. Das zeigt auch, dass man mit den USA konkurriert, und das ist auch ein Problem.
Die IS-Terroristen sind der gemeinsame Feind der USA und des Irans. Nun agiert der Iran offenbar auf eigene Faust gegen den IS. Was heisst das für eine mögliche Zusammenarbeit mit den USA?
Es ist nicht klar, wer die iranischen Flugzeuge schickt: Ist es die Armee oder sind es die Revolutionswächter? Wenn die Armee sie schickt, fliegen sie im Auftrag der Regierung und das könnte ein Zeichen sein, dass man ein bisschen auf die USA zugehen will. US-Präsident Obama hatte ja einen Brief an den iranischen Revolutionsführer Ali Khamenei geschickt und darin eine gemeinsame Front gegen den IS vorgeschlagen. Doch Teheran ging darauf nicht ein. Da stellt sich die Frage, inwieweit nun im Stillen kooperiert wird.
Glauben Sie, dass sich der Iran schon bald mit dem westlichen Anti-IS-Bündnis absprechen wird oder sich gar beteiligen könnte?
Nein, das sehe ich nicht. Die Verhandlungen mit den westlichen Staaten um das iranische Atomprogramm sind festgefahren. So lange dieses Grundproblem zwischen den USA und dem Iran nicht gelöst ist, gibt es keine offene Zusammenarbeit. Daran hat der Revolutionsführer keinen Zweifel gelassen. Es gibt wohl eine stille Kooperation und gleichzeitig eine starke Konkurrenz – und ich gehe eher davon aus, dass die Konkurrenz zunimmt. So müssen auch die Luftangriffe des Irans gesehen werden: Sie sind ein Zeichen an die Schiiten im Irak, dass sie auf die Unterstützung Teherans zählen können – und sich nicht allein auf die USA verlassen müssen.