Hier David, dort Goliath. Hier die Guten, dort die Bösen. Es war eine Geschichte, wie gemacht für die Medien: Der Kampf um die syrische Grenzstadt Kobane sorgte im Oktober weltweit für Schlagzeilen. Praktisch live konnten die Zuschauer die Schlacht zwischen den Kurden und der Terrormiliz Islamischer Staat mitverfolgen.
Seither ist der IS zwar nicht aus den Nachrichten verschwunden. Doch es dominieren andere Themen: Die Ecopop-Schlappe, ein Fleischskandal, die Mienen von Obamas Töchtern an Thanksgiving. Schlagzeilen macht der IS noch, wenn er ein weiteres Enthauptungsvideo veröffentlicht. Oder wenn ein Dschihadisten-Rückkehrer festgenommen wird.
Enttäuschte Dschihadisten
Dennoch ist die Anziehungskraft der Islamisten ungebrochen. Das sagt Jihadismus-Experte Lorenzo Vidino: «Der Strom ausländischer Kämpfer nach Syrien und Irak hat nicht abgenommen – im Gegenteil.» Dies bestätigten die Geheimdienste verschiedener europäischer Länder übereinstimmend. Und dies, obwohl die Islamisten vor allem im Irak einige Kämpfe verloren haben und die Berichte ernüchterter Rückkehrer die Runde machen.
Auch Matthew Henman vom amerikanischen Jane’s Terrorism and Insurgency Center stellt keinen Rückgang fest. Darauf liessen zumindest die Aktivitäten im Internet schliessen. «Die Islamisten sind weiterhin sehr aktiv online: Sie rekrutieren, stellen Videos ins Netz und berichten über ihre Erfolge.»
Schwieriger sei es, zu beurteilen, wie die Situation vor Ort aussehe. Falls der Strom ausländischer Kämpfer eines Tages tatsächlich abbrechen sollte, so würde man das wohl erst mit einiger Verzögerung feststellen. Danach sehe es im Moment aber nicht aus, sagt Henman.
Massenmedien spielen keine Rolle
Und obwohl die Islamisten sich die Mechanismen der Medien zunutze machen: Der Rückgang der Berichterstattung über den IS habe wenig Einfluss auf seine Anziehungskraft, sagt Vidino: «Wer sich dem IS anschliessen will, bezieht seine Informationen ohnehin von anderswo.»
Wichtiger als Zeitungen oder Fernsehen seien Dschihadisten-Foren und soziale Medien. «Die Anhänger der Islamisten leben, informationstechnisch gesehen, in einer Blase.» Die Berichte in westlichen Medien, die sie als einseitige Propaganda sähen, bestärkten sie nur in ihrer Überzeugung, sich den Islamisten anzuschliessen.
Aggressiveres Vorgehen der Staaten
Ein Faktor, der hingegen die Reise nach Syrien etwas schwieriger mache, sei die verstärkte Grenzkontrolle der Türkei. Deswegen strandeten einige Möchtegern-Kämpfer, die nach Syrien reisen wollten, erst einmal auf der türkischen Seite, sagt Henman. «Aber wer wirklich nach Syrien will, kann das immer noch tun.»
Vidino nennt ein weiteres Hindernis für europäische IS-Anhänger: die Tatsache, dass die Regierungen heutzutage aggressiver gegen einheimische Dschihadisten vorgehen. Indem sie die Pässe einziehen und Verdächtige verhaften.
Zu kleines Risiko
Das alleine reiche allerdings nicht aus, sagt Henman. Um die Anziehungskraft der Islamisten zu brechen, seien auch Siege gegen die Terrormiliz wichtig. Damit würde nicht nur der Mythos der Unbesiegbarkeit zerstört. Das Mitmachen beim IS würde damit auch gefährlicher.
«Heute kann der IS seinen europäischen Anhängern eine Unterkunft in Städten anbieten, in denen sie vor Angriffen sicher sind.» Würden die Islamisten die Kontrolle über ihr Territorium verlieren, so würde ihnen laut Henman die Rekrutierung deutlich schwerer fallen. «Aufständische zu unterstützen statt Herrscher ist eben gefährlicher – und weniger attraktiv.»