Die Nachricht von der Ermordung des japanischen Journalisten Kenji Goto hat in Japan grosses Entsetzen ausgelöst. Nicht nur der brutale Mord, sondern auch, weil sich die Nation jahrzehntelang als pazifistisch verstanden hat. Mit der Ermordung wurde vielen Japanern bewusst, dass nun auch ihr Land plötzlich ins Blickfeld des internationalen Terrorismus geraten ist.
Akt von IS kaum eine Überraschung
Für einige Beobachter war es hingegen nur eine Frage der Zeit, wann Japan die Konsequenzen einer offensiveren Aussenpolitik zu spüren bekommt. Bereits als die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) mit der Ermordung der beiden japanischen Geiseln Haruna Yukawa und Kenji Goto drohte, zeigten manche Kritiker in Japan auf den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Shinzo Abe.
Sie warfen ihm vor, mit seiner jüngsten Nahostreise und der Zusage humanitärer Hilfe für Länder, die vom IS betroffen sind, für das Geiseldrama mitverantwortlich zu sein. «Ihre [Abes] Rede im Nahen Osten war ohne Zweifel ein Auslöser», schrieb etwa der frühere japanische Botschafter im Iran, Ukeru Magosaki, auf Twitter.
Abe habe die Reise in den Nahen Osten unternommen, obwohl die Regierung zu dem Zeitpunkt bereits gewusst habe, dass sich mindestens eine Geisel in der Gewalt des IS befand, kritisierte auch der Politikwissenschaftler Akikazu Hashimoto.
Für den Nahost-Experten Akira Usuki von der Nihon Joshi Universität reichen die Hintergründe für das japanische Geiseldrama jedoch weiter zurück. «Als die Geiselnahme erfolgte, dachte ich, es war sowieso nur eine Frage der Zeit, dass so etwas passiert», zitierte ihn kürzlich die japanische Tageszeitung «Asahi Shimbun».
Japans Aussenpolitik als «Kreuzzug»
In einem Video warf die Terrormiliz IS Japan die Teilnahme an einem «Kreuzzug» vor. Damit sei Japans Aussenpolitik gemeint, sagt Nahost-Experten Akira Usuki. Es habe damit begonnen, dass der damalige Ministerpräsident Junichiro Koizumi im zweiten Golfkrieg nicht-kämpfende Soldaten der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte zur Unterstützung der USA im «Krieg gegen den Terror» in den Irak entsandt hatte.
In der Vergangenheit wurde Japans Aussenpolitik oft als pragmatisch und prinzipienlos kritisiert. Die internationalen Beziehungen würden gepflegt bei hohem wirtschaftlichen Nutzen aber geringem aussenpolitischen Engagement. So war Japan während des ersten Golfkriegs wegen seiner «Scheckbuch-Diplomatie» kritisiert worden, da es sich mit Geld, aber nicht mit Truppen beteiligte.
In den vergangenen Jahren hat aber Japan sein Militär immer stärker in UNO-Missionen einbinden lassen und auch zur logistischen Unterstützung im Kampf gegen den Terrorismus in den Indischen Ozean und den Irak entsandt.
Lockerung des japanischen Pazifismus
Der amtierende Regierungschef Abe will nun einen Schritt weitergehen und die militärische Rolle Japans ausbauen; er nennt das «proaktiven Pazifismus». Dazu gehört eine Lockerung des jahrzehntelangen Verbots von Waffenexporten. Zudem will Abe auch eine Neuinterpretation der pazifistischen japanischen Verfassung, damit das Land künftig in Konflikten an der Seite von Verbündeten, namentlich der USA, kämpfen kann.
Welche Konsequenzen diese Politik haben kann, zeigt nach Meinung von Experten die Ermordung der Geiseln durch die Terrormiliz IS. Unklar ist, ob die japanische Bevölkerung bereit ist, Abes Aussenpolitik mitzutragen und ob etwa dem eigenen Militär Operationen zur Rettung von Japanern im Ausland erlaubt werden soll.