Auf ihrem Weg nach Bagdad hat die sunnitische Terrorgruppe Isis mit heftiger Gewalt weitere Erfolge erzielen können. Sie hat laut Berichten in Baidschi im Norden des Landes die grösste Ölraffinerie des Iraks eingenommen. Die Raffinerie liegt rund 200 Kilometer von der Hauptstadt entfernt.
Die Aufständischen sind laut irakischen Behörden in den Raffineriekomplex eingedrungen und haben so die Kontrolle übernommen. Bei den Kämpfen mit Sicherheitskräften seien mehrere Soldaten verletzt oder getötet worden.
Wem letztendlich wirklich die Kontrolle hat, ist unklar. Journalistin und Irak-Kennerin Inga Rogg berichtet: «Ein Armeesprecher hat vorhin erklärt, die Regierung habe die Kontrolle zurückgewonnen. Aber es gibt Angaben von Personen vor Ort, die sagen, die Kämpfe gehen weiter und bis zu drei Viertel der Raffinerie sei unter der Kontrolle des Isis.»
Rohstoffe und Menschen
Die Arbeiter seien geflohen, berichtete ein Angestellter des Werks. Mit der Übernahme der Raffinerie verschafft sich Isis den Zugang zu einer bedeutenden Rohstoffquelle des Landes. Damit würde weiteres Geld in die Kassen von Isis gespült werden, sagt Rogg.
Dies wirkt sich auch auf den internationalen Rohstoffmarkt aus. Das Öl ist so teuer wie seit neun Monaten nicht mehr. Der Preis könnte laut Experten weiter steigen – was wiederum das weltweite Wachstum gefährden könnte. Auch für die lokale Bevölkerung wäre die Kontrolle der Raffinerie durch Isis laut Rogg eine Katastrophe. «In der Nähe befindet sich eine der wichtigsten Stromkraftwerke. Wenn Isis das kontrolliert, sind sie in der Lage, im ganzen Norden den Strom abzustellen.»
Doch nicht nur die erbeuteten Rohstoffe sind für die radikale Gruppierung strategisch und finanziell wichtig. In der Ölstadt Kirkuk soll die Miliz Dutzende ausländische Bauarbeiter verschleppt haben. Ein entkommener Arbeiter sagte, dass rund 60 Menschen gefangen genommen wurden.
Noch keine Lösegeldforderungen
Die verschleppten Geiseln stammen aus der Türkei, Pakistan, Bangladesch, Nepal und Turkmenistan. Es wird auch von 40 aus Mossul entführten indischen Bauarbeitern berichtet. Dies bestätigten laut des indischen Aussenministeriums humanitäre Organisationen.
Vor einer Woche hatten die sunnitischen Islamisten die Millionenstadt Mossul im Norden des Landes gestürmt. Dort hatten sie ebenso mehrere Dutzend vor allem türkische Geiseln genommen. Bislang soll der Aufenthaltsort der meisten Gefangenen unklar sein, auch soll es bislang noch keine Lösegeldforderungen gegeben haben.
Isis kurz vor Bagdad
Auf dem Marsch Richtung Bagdad soll Isis auch weitere Ortschaften – Albou Hassan, Birwadschli und Bastamli – eingenommen haben. Die Übernahme forderte rund 20 Todesopfer, mehrheitlich Zivilisten. Die Dschihadisten liefern sich nur noch wenige Dutzend Kilometer von der schwer gesicherten Hauptstadt mit den Regierungstruppen Kämpfe. «Es wird nordöstlich und nordwestlich von Bagdad gekämpft», so Rogg. Doch auch in Bagdad ist der Krieg zu spüren. Am Vorabend explodierte eine Autobombe, zwölf Menschen starben dabei. Viele kleine sunnitische Splittergruppen unterstützen Isis.
Nach internationalen Warnungen vor einem Auseinanderbrechen des irakischen Staates haben sich unterdessen die politischen Gegner im Land an einen Runden Tisch gesetzt. Gestern trafen sich sunnitische und schiitische Spitzenpolitiker in Bagdad erstmals zum Dialog.
Sunniten und Schiiten
Am Gespräch nahmen der schiitische Ministerpräsident Nuri al-Maliki, der ehemalige schiitische Übergangschef Ibrahim al-Dschafari, der ehemalige, sunnitische Präsident des alten Parlaments, Osama al-Nudschaifi, der ebenfalls sunnitische Vize-Premier Saleh al-Mutlak und der schiitische Energieminister Hussei al-Schahristani teil.
Laut irakischen Medien haben die Politiker die Bevölkerung gemeinsam aufgerufen, zusammenzustehen. Sunniten und Schiiten müssten eine Einheit gegen die Terroristen bilden. Derzeit droht der Irak entlang der konfessionellen Grenzen auseinanderzubrechen.
Maliki die Einheit der Iraker in einer TV-Rede beschworen: «Der Irak ist eine Einheit – aus Sunniten, Schiiten, Arabern und Kurden.» Vor einigen Tagen hatte UNO-Generalsekretär Ban Ki-Moon den Ministerpräsidenten aufgefordert, die verschiedenen Volks- und Religionsgruppen des Landes besser in die Regierung einzubinden.
Irak-Kennerin Rogg zeigt sich wenig überzeugt von der demonstrierten Einheit: «Die gute Nachricht ist sicherlich, dass es dieses Treffen gegeben hat. Aber wenn man dann das Ergebnis davon gesehen hat – es gab keine weiteren Initiativen ausser dieser dürren Erklärung.»