«Ein historischer Tag – von heute an ändert sich alles»: Mit diesen Worten feierte Beppe Grillo am frühen Montagmorgen den Triumph seiner Protestbewegung. Tatsächlich ist die Bilanz des «Movimento Cinque Stelle» (M5S), das der 67-jährige Star-Komödiant im Jahr 2009 ins Leben rief, beachtlich.
Bereits bei der Parlamentswahl 2013 holte das M5S auf Anhieb 25,6 Prozent der Stimmen. Und nun die Kommunalwahl als vorläufiger Höhepunkt der Protestler: In Rom sicherte sich die 37-jährige, politisch weitgehend unerfahrene Virginia Raggi das Stadtpräsidium, in Turin setzte sich mit der 31-jährigen Chiara Appendino ebenfalls eine Kandidatin des «Movimento Cinque Stelle» durch. Das Nachsehen hatten in beiden Städten die Kandidaten von Matteo Renzis Partito Democratico (PD).
«Ein ideologisches Tutti-Frutti»
Doch wo genau steht Beppe Grillos Bewegung? «Das M5S holt den Protest dort ab, wo er ist – mal auf der linken, mal auf der rechten Seite», sagt SRF-Italien-Korrespondent Franco Battel. «Es ist ein ideologisches Tutti-Frutti». So setzen sich die «Grillini» zum Beispiel für ein garantiertes Grundeinkommen und für Velowege ein, also klar linke Anliegen.
Zweifellos rechts steht das M5S indes bei Ausländerfragen. Überdeutlich wurde dies, als Beppe Grillo vergangenen Sommer Migranten im gleichen Atemzug nannte wie Ratten. «Damit wollte er bei der Wählerschaft punkten, die mit Renzis Migrationspolitik nicht einverstanden ist», sagt Battel. Im Europa-Parlament hat sich das Movimento zudem der EU-feindlichen Fraktion von Ukip-Chef Nigel Farage angeschlossen.
Ganz grundsätzlich werden die M5S-Vertreter aber nie müde zu betonen, wie wenig sie von starren Ideologien halten. «Rechts und links sind überholte Raster», erklärte einst Grillo. Und auch Roms neue Bürgermeisterin Raggi antwortete auf die Frage, wo sie den politisch genau stehe, vielsagend: «Im Lager des gesunden Menschenverstands.» Denn: «Wer eine sichere Stadt fordert, muss kein Rechter sein; und wer für funktionierende Schulen kämpft, kein Linker», so Virginia Raggi ganz im Sinne Grillos.
Protest der einfachen Leute
Bei den Wählern kommen solche Aussagen an. Etwa in Turin, wo die Mitte-links-Allianz nach 23 Jahren die Führung abgeben musste. Der abgewählte Bürgermeister Piero Fassino, seit jeher ein Schwergewicht von Renzis PD, meinte nach der Niederlage resigniert: «Die Mitte-rechts-Wählerschaft hat massenhaft die Fünf Sterne-Bewegung gewählt.»
Gewonnen habe das M5S primär in der Peripherie Turins, bestätigt auch Italien-Korrespondent Battel. «Dort, wo das kleine Bürgertum und die Arbeiterschaft wohnt.» Matteo Renzi dürfte den Wink verstanden haben. Das Resultat ist ein deutliches Zeichen dafür, wie unzufrieden viele Bürger mit der Regierung sind. Für sie ist die PD längst keine Partei der einfachen Leute mehr.
Rom als Herkulesaufgabe
Doch hat das Movimento das Zeug dazu, sich auch auf nationaler Ebene dauerhaft zu halten? Oder verglühen die Fünf Sterne ebenso schnell, wie sie an Italiens Polithimmel emporgestiegen sind? Korrespondent Battel relativiert. In 25 grösseren Städten sei am Sonntag gewählt worden, die Protestbewegung habe 3 davon für sich entschieden – wenn auch mit Turin und Rom zwei äusserst wichtige. Allerdings: Bemerkenswerterweise sei das Movimento offenbar eine der nationalen Parteien, die sowohl im Süden wie auch Norden gewinnen könne. «Das macht das M5S zur wichtigsten Oppositionspartei in Italien», sagt Battel.
Doch bei allem Rückenwind, den die Protestler im Moment verspüren: Ganz wesentlich dürfte sein, wie sich die beiden neuen M5S-Bürgermeisterinnen in ihren Städten zu behaupten wissen. Insbesondere für Virginia Raggi wird es eine Herkulesaufgabe, um die sie wohl niemand beneidet.
Nicht umsonst gilt Rom als Stadt mit der geringsten Lebensqualität in Europa: Auf den Strassen türmt sich der Müll, der öffentliche Verkehr ist ein Desaster, die Bewohner sind entsprechend unzufrieden. Battel: «Es wird sehr darauf ankommen, ob Raggi die richtigen Leute findet, um ihr zu helfen». Und Beppe Grillo? Dieser wird genau darauf achten, ob die Aushängeschilder seiner straff organisierten Bewegung der Linie treu bleiben – oder sonst notfalls einschreiten. Denn ein Beppe Grillo, so viel scheint klar, gibt die Fäden nicht so schnell aus seiner Hand.