Der Anruf kam aus heiterem Himmel. «Bitte holen Sie den Leichnam ab», wurden die Angehörigen von Toshihiko Hasegawa aufgefordert. «Wollen Sie den Körper unversehrt – oder sollen wir ihn schon verbrennen?» Ebenso plötzlich hatte Hasegawa selbst erfahren, dass er nach 16 Jahren des Wartens in der Todeszelle hingerichtet werden sollte.
Damit sich keiner als Henker fühlen muss
Die kurzfristige Mitteilung ist gängige Praxis in Japan und wird seit langem als Psychofolter kritisiert. Die Wärter verbanden dem dreifachen Mörder die Augen, fesselten seine Hände und legten ihm eine Seilschlinge um den Hals. Auf Kommando drückten fünf Gefängnisbeamte gleichzeitig jeweils einen Knopf.
Mit lautem Geräusch öffnete sich im Boden eine Falltür nach unten. Der Körper fiel in die Tiefe, der Ruck des Seils zerbrach sein Genick. Nur einer der fünf Knöpfe hatte die Falltür tatsächlich geöffnet. So wusste kein Wärter, wer den Gefangenen tatsächlich getötet hatte. Dieses System wurde eingeführt, damit sich keiner der Wärter als Henker fühlen muss.
Exekutionen bisher nie offiziell bestätigt
Wie immer meldete das Justizministerium die Vollstreckung nur mit einer kurzen Pressemitteilung. Denn die Todesstrafe wird in Japan regelrecht verheimlicht. Der Ablauf einer Exekution durch den Strang wurde bislang nie offiziell bestätigt. Aber die Journalistin Kimiko Otsuka hatte dazu zahlreiche Wärter befragt.
Der Staat schämt sich für seine Tat. Mit der Verheimlichung vermeidet er den Widerspruch, als Staat Mord zu verbieten, aber selbst Menschen zu töten, aufzuklären.
«Der Staat schämt sich für seine Tat. Mit der Verheimlichung vermeidet er den Widerspruch, als Staat Mord zu verbieten, aber selbst Menschen zu töten, aufzuklären.» Für diesen Widerspruch gebe es keine Erklärung, deshalb verstecke Japan seine Todesstrafe, sagt Otsuka.
Gehängt wird während der Sitzungspause
Diese Strategie war sehr erfolgreich. Denn es ist kaum bekannt, dass Japan als einzige entwickelte Industrienation ausser den Vereinigten Staaten die Todesstrafe noch vollstreckt – und dies für 17 verschiedene Delikte. Derzeit sitzen 129 Verurteilte in den Todeszellen.
Unter der Regierung von Shinzo Abe wurden in knapp drei Jahren zwölf Menschen hingerichtet. Gehängt wird stets, wenn das Parlament Sitzungspause hat. Die Namen der Gehängten werden nur bekannt, wenn die Angehörigen sie veröffentlichen.
Diskussion erfolgreich unterdrückt
30 Jahre lang durften Parlamentarier nicht einmal die leere Todeskammer des Gefängnisses von Tokio sehen. Mit solchen Methoden konnte das Justizministerium bisher jede Diskussion über die Todesstrafe vermeiden, meint Makoto Teranaka, Generalsekretär von Amnesty International Japan. «Die Todesstrafe in Japan dient weniger dazu, andere Menschen von Kapitalverbrechen abzuschrecken, sondern die Regierung will dem Volk mit den Hinrichtungen demonstrieren, dass sie Recht und Ordnung aufrechterhält.»
Nach Ansicht von Menschenrechtlern werden die Todeskandidaten unnötig brutal behandelt. Die Verurteilten dürfen nicht mit anderen Insassen sprechen, nicht fernsehen und keinen Hobbys nachgehen. Jedes Gespräch wird überwacht, jeder Brief zensiert.
80 Prozent unterstützen Todesstrafe
Allein auf knapp sieben Quadratmetern eingepfercht, die Glühlampen niemals ausgeschaltet, ertragen viele Gefangene ihre Isolation nur mit Hilfe von Schlaftabletten. Die Bevölkerung erfährt davon nichts.
Bei einer staatlichen Umfrage im Januar unterstützten angeblich 80 Prozent der Japaner die Todesstrafe. Dabei war wenige Monate zuvor ein zum Tode Verurteilter freigelassen worden. Die Polizei hatte Beweise gegen Iwao Hakamada gefälscht. Deswegen hatte der Mann unschuldig in der Todeszelle gesessen – und zwar für 48 Jahre.