«Zurück zur Sowjetunion» oder «Die Verfassung wird misshandelt»... die liberale Wochenzeitung «Novoje Vremja» spart nicht mit Kritik. Denn die Botschaft, welche Präsident Putin kürzlich der Duma unterbreitet hat, enthält Vorschläge, mit denen Putin noch stärker als bisher Einfluss auf die Personalpolitik und damit auch auf die Entscheide der Gerichte nehmen will.
Sergej Paschin, ehemaliger Staatsanwalt, heute Professor an der renommierten Moskauer Wirtschaftshochschule, meint dazu auf telefonische Anfrage hin lapidar: «Mit der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Gerichte habe Russland seit einiger Zeit Probleme.»
Er und auch sein ehemaliger Kollege, Juri Seneltschikow, sagen, angesichts der jüngeren innenpolitischen Entwicklung wolle Putin ihm absolut loyal gesinnte Justizorgane um sich scharen. Beispielsweise will er dafür sorgen, dass gegen wichtige Unternehmen, etwa gegen die Staatsbahn oder gegen den Energiemulti Gazprom, keine Prozesse geführt werden können.
Formell will Putin das bisherige oberste Schiedsgericht des Landes mit dem Obersten Gerichtshof zusammenführen. Dabei, so der ehemalige Staatsanwalt Paschin, gehe es wohl aber vor allem darum, diese Justizorgane von unabhängigeren und liberalen Mitarbeitern zu säubern. «Das Projekt ist ein Schlag gegen das Verfassungsprinzip, wonach einmal berufene Richter nicht willkürlich abgesetzt werden können. Ich kann nicht erkennen, weshalb diese Gesetzesänderung notwendig sein soll. Ich kann nur einen Grund erkennen: Offenbar soll in den Gerichten eine Säuberung stattfinden.»
Säuberung der Gerichte von «Medwedevskije»
Die «Novoje Vremja» schreibt in diesem Zusammenhang von einer Säuberung der Gerichte von «Medwedevskije», von Medwedew-Leuten. Denn mit der Reform müssen, so rechnet die regierungstreue Rossiskaja Gasjeta vor, landesweit etwa 170 Richter neu gewählt werden. Kritiker argwöhnen, die müssten dann – je nachdem, ob sie der Obrigkeit genehm sind – über die Klinge springen.
Seit seinem Amtsantritt mache sich Putin wiederholt daran, seine Kompetenzen auszuweiten, kritisiert Jura-Professor Michail Krasnow. Putin wolle, wie er das zuvor beim Innenministerium oder durch die Schaffung des ihm direkt unterstellten Ermittlungskomitees getan habe, die wichtigsten Machtorgane in seine autoritäre Macht-Vertikale einbauen.
Das Ermittlungskomitee hat sich Putin übrigens vor ein paar Jahren als eine Art juristische Schnelleingreiftruppe geschaffen – für besondere, politisch heikle Fälle. So ist es kein Wunder, dass der jüngste Schauprozess gegen den Oppositionellen Nawalny oder auch die Anklageerhebung gegen die Greenpeace-Leute in der Arktis, die jetzt der Piraterie beschuldigt werden, auf Klagen von Putins Ermittlungskomitee zurück gehen.
Und was die putinsche Justizreform betrifft, steht für Professor Sergej Paschin ausser Frage: Putin werde sich so mit seinen neuesten Vorschlägen im Parlament mit hundertprozentiger Sicherheit durchsetzen.
(stric)