Russische Kampfjets steigen in die Höhe, es fallen Bomben – sie landen jedoch nicht dort, wo angekündigt: Statt die Terrormiliz IS zu treffen, sollen sich die Angriffe gegen Rebellen gerichtet haben, die gegen Diktator Assad kämpfen. Und teils sogar aktiv von den USA unterstützt werden.
Westliche Berichterstatter fürchten: Mit Putins Kampffliegern erreichen auch die Grossmachtphantasien des Kreml-Chefs luftige Höhen – spielt er auf der Klaviatur des Kalten Krieges? Die verfahrene Situation im Bürgerkriegsland Syrien droht sich zum Stellvertreterkrieg zwischen den Grossmächten USA und Russland auszuwachsen, befinden Kommentatoren.
Ein schiefer historischer Vergleich
Zu kurz gedacht, findet der Journalist und UNO-Experte Andreas Zumach. Zwar spiele sich in Syrien tatsächlich ein Stellvertreterkrieg ab, sogar ein «doppelter»: «Das ist seit Beginn des Bürgerkrieges der Fall. Deswegen gibt es ja die Blockade im UNO-Sicherheitsrat [Anm. d. Red.: wo u.a. die USA und Russland als Veto-Mächte vertreten sind]. Zudem fechten auch die Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und die Türkei ihre gegensätzlichen Interessen in Syrien aus.»
Im Unterschied zu denjenigen, die die Geister des Kalten Kriegs beschwören, taxiert Zumach Russlands militärisches Erwachen auf der Weltbühne aber als «Versuch, wieder in die Weltmachtposition zurückzukommen.» Aus dieser habe sich Russland seit Ende des Kalten Krieges zurückgedrängt gefühlt.
Heute gehe es darum, dass Russland zumindest im Nahen und Mittleren Osten seinen Einfluss zurückzugewinnen versuche. «Und das möglicherweise auch als Faustpfand für andere Konflikte, Stichwort Ukraine, mit einzusetzen.»
Aus einem Unfall kann eine gewollte militärische Auseinandersetzung werden.
Parallelen zum Kalten Krieg hält Zumach für entsprechend weit hergeholt: «Einmal gibt es die ideologische Dimension nicht mehr, den Gegensatz von Kapitalismus und Kommunismus.» Zudem fehle heute auch das «operative Hauptinstrument» des Kalten Krieges: «die gegenseitige atomare Abschreckung, bei der beide [die USA und die damalige Sowjetunion] gleich aufgestellt waren.»
Also darf das Weltgewissen ruhig durchschnaufen: kein roter Knopf, kein Wettstreit der Weltentwürfe – bis eine Supermacht den Krieg der Systeme für sich entscheidet? Jein, sagt Zumach.
Die Verhältnisse mögen sich verändert haben, doch die Lage bleibt explosiv. Und die Funken sprühen, gerade im syrischen Luftraum: «Zufälle können in beide Richtungen passieren. Etwa auch, wenn russische Hunschrauber oder Kampfflugzeuge von westlichen Mächten abgeschossen werden.»
Einen solchen unbeabsichtigten Abschuss hält der Journalist und Nahost-Kenner für die gefährlichste denkbare Situation. «Ein solcher Zusammenstoss könnte schnell ausser Kontrolle geraten und dann eskalieren – in eine gewollte militärische Auseinandersetzung.»
Um diesen «heissen Krieg» zu verhindern, hätten die USA und Russland auf Ebene der Militärexperten einen Gesprächskanal geöffnet. Kein «rotes Telefon», wie es im Kalten Krieg im Kreml und dem Weissen Haus stand, aber doch: Man redet miteinander, um «Unfälle» zu verhindern.
Ein Krieg mit vielen Fronten
Doch die Lage sei heute komplizierter, sagt Zumach: «Es gibt auch viele andere Beteiligte – die Türkei, arabische Staaten – die nicht an der Kommunikation beteiligt sind. Das Risiko ist sehr gross.» Denn im Gegensatz zum relativ klaren Zweifronten-Schema des Kalten Kriegs ist die Lage in Syrien unübersichtlicher: Viele Akteure, viele Interessen, wenig gemeinsame Nenner.
Bei aller Angst und Unberechenbarkeit, schliesst Zumach: «Es kann niemand ein Interesse daran haben, dass es zu einem heissen Krieg zwischen den beiden Grossmächten kommt. Wir haben auch andere Situationen während des Kalten Krieges gehabt, wo wir sehr nah an einer militärischen Eskalation gewesen sind.» Ganz ohne Querbezüge zur polaren Weltordnung kommt dann auch Zumach nicht aus.