Gross ist nicht gross genug. Der katalanische Regierungschef Artur Mas hilft da unerschrocken nach. Mit kühner Rhetorik. «Hunderttausende werden an unserem Nationalfeiertag demonstrieren. Das sind viel mehr, als vor 50 Jahren in Washington Martin Luther King zuhörten.» Mit diesen Worten wollte Mas diese Woche nichts sagen aber sehr viel andeuten.
Seine Getreuen bleiben wenigstens innerhalb der katalanischen Grenzen, aber mit Kleinigkeiten wollen auch sie sich nicht abgeben. Àngels Folch i Borrás gehört zu den Organisatorinnen der heutigen Kundgebung. Mit Spanien, sagt sie, haben wir nichts mehr zu verhandeln: «Wir wollen eine eigene Verfassung. Die Spanier können mit ihr machen, was sie wollen. Die geht uns nichts an». Die Aktivistin wirkt zunächst zwar scheu und zurückhaltend, aber sie redet nicht so.
Und dann es geht doch um Geld
«Nein, nein, mit einem Steuerpakt oder etwas mehr Autonomie braucht man uns nicht mehr kommen. Kleine Retuschen sind keine Lösung. Immer versucht man, uns als jene hinzustellen, die mehr Geld wollen.» Das sei falsch, sagt sie, es gehe um viel mehr.
Aber sie rechnet dann doch vor, dass die Katalanen mehr Geld nach Madrid überweisen, als alle andern autonomen Regionen. «Und was haben wir davon? Arbeitslosigkeit und Krise.» Von ihrem Café an der Rambla nicht weit entfernt wird es laut auf der Strasse.
Verwaltungsangestellte demonstrieren, weil ihre Löhne dauernd gekürzt und oft mit grosser Verspätung ausbezahlt würden. Einer von ihnen sagt: «Die sollen unsere Gehälter zahlen und nicht so viel Geld in ihre Unabhängigkeitskampagne stecken.»
Finanzstütze wankt
Tatsächlich sind die katalanischen Finanzen in Schieflage. Dass man letztes und dieses Jahr von der Zentralregierung um Überbrückungskredite bitten musste, haben viele in Katalonien als Demütigung empfunden. Den Nationalisten hat das nochmals Schub gegeben. Wirtschaft und Geld sind darum häufig Thema in der Debatte.
Ein junger Geschäftsmann ist auf seinem Weg zum nächsten Termin. Mit dem Thema Unabhängigkeit verliert er nicht viel Zeit: «Wenn eine Abspaltung von Spanien den Austritt aus der EU bedeutet, wäre das abenteuerlich, verantwortungslos», sagt er und eilt davon. Das dürfte eine verbreitete Meinung sein in der katalanischen Business-Class. Und nicht nur dort.
Wohin soll der Weg gehen?
Abstimmen über die Zukunft Kataloniens findet man derzeit aber fast überall eine gute Idee. Nur über das Ziel der Abstimmung ist man sich nicht einig. Vor allem: Weg von Spanien ist für viele kein verlockendes Szenario – auch für viele Parteien nicht. Es gebe schon einiges zu regeln, findet Monica Casals, eine junge Passantin: «Aber Spanien ist Spanien. Mit uns, nicht ohne uns.»
Es reiche, das Zusammenleben besser zu regeln. Bedingungen wie sie für die Basken gelten, wären eine gute Grundlage, findet sie. Auch da geht es zunächst um Geld. Denn die Basken müssen Madrid weniger abliefern, als die Katalanen.
Dass sich daran aber schnell was ändern kann, bleibt zweifelhaft, sagt Xavier Vidal-Folch. Er ist Katalane und Mitglied der Chefredaktion der grössten spanischen Tageszeitung El País: «Die Verhandlungen sind derzeit schwierig.»
Die Regierung habe seit einem Jahr nicht mehr zugehört und kein Zeichen gegeben, dass sie Hand bieten wolle zu Veränderungen. Aber nicht nur in Madrid sperre sich die Politik gegen zu grosse Autonomie oder gar eine Unabhängigkeit der Katalanen. Auch in Barcelona seien die Widerstände noch gross, sagt Vidal-Folch.
Druck nach aussen und innen
Die heutige Kundgebung könne darum ein Propagandaerfolg werden und gleichzeitig ein politischer Reinfall. Denn die Aktivisten würden von den meisten Parteien nicht wirklich unterstützt, sagt Vidal-Folch.
Und das bedeutet: Nicht nur die Regierung in Madrid kann unter Druck kommen – auch Artur Mas in Barcelona.