Im Schatten der griechischen Krise gärt der Konflikt in der Ostukraine vor sich hin. Er fordert im Grenzgebiet zu Russland immer wieder Tote und Verletzte. Das Waffenstillstandsabkommen von Minsk, so die Einschätzung von SRF-Korrespondent Peter Gysling in Moskau, bleibt brüchig.
In den letzten Wochen haben sich die Kämpfe in der Ostukraine intensiviert. Laut Gysling halten sich weder die Regierungstruppen noch die prorussischen Separatisten an die Vereinbarungen von Minsk. Mehr noch: Beide Seiten bringen wieder schwere Waffen an die Kriegsfront zurück.
Angriffe in der Nacht
Wie Gysling weiter beobachtet, greifen die von Russland unterstützten Kämpfer die ukrainischen Soldaten gezielt in der Nacht an – dann, wenn die OSZE-Beobachter nicht präsent sind.
Entsprechende Kämpfe hätten etwa in der Nacht auf Mittwoch elf Tote gefordert. Und noch in der vergangenen Woche seien im Nordwesten der Stadt Donezk drei Zivilisten den kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer gefallen.
Mehr Rechte sind Lippenbekenntnisse
Zwar hat das ukrainische Parlament im Verlauf dieser Woche über mehr Autonomie für die Rebellengebiete Lugansk und Donezk verhandelt. Doch schaue man die konkrete Situation vor Ort an, so Gysling, tue sich «überhaupt nichts». Das ukrainische Parlament habe nämlich einen Verfassungstext verabschiedet, in dem lediglich erwähnt sei, dass die Autonomierechte für die Regionen in einem separaten Text zu regeln seien.
Abgesehen davon haben schon diese blossen Formalitäten im ukrainischen Parlament zu heftigen Diskussionen geführt. Insbesondere Oleh Ljaschko, der populistische Chef der Radikalen Partei, hat heftig gegen die Verabschiedung dieser Verfassungsänderung protestiert.
Putin als Nutzniesser
Wenn sich der Konflikt kriegerisch äussert, politisch aber festgefahren ist, kommt das, so Gysling, dem russischen Präsidenten Putin entgegen. Nach wie vor streite er eine offizielle russische Beteiligung am Krieg in der Ostukraine ab. «Obwohl erwiesen ist, dass Russland dort Söldner stellt und diese Söldner und die Rebellen auch mit russischen Waffen versorgt.»
Teilweise hätten die Russen gar das Kommando über das Kriegsgeschehen übernommen. Und die OSZE habe im Separatistengebiet erst kürzlich ein russisches Waffensystem – hochmoderne russische Flugzeugabwehrkanonen – entdeckt.
Neue extremistische Gruppierungen
Die Auseinandersetzung hat auch wirtschaftliche Konsequenzen. So kämen die im Osten zurückgebliebenen Menschen – darunter vor allem Rentner – nurmehr schwer an ihre Renten heran. Und insgesamt stehe das Land trotz internationaler Hilfszusagen am Rande eines Staatsbankrotts.
Ferner ist der Konflikt zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten der Nährboden, auf dem sich andere extremistische Gruppierungen etablieren können. Laut Gysling dränge etwa mit Prawji Sektor – dem Rechten Sektor – eine radikal-nationalistische Organisation auf das politische Parkett. Sie lasse sich nur schwer in die offiziellen Verteidigungsstrukturen einbinden und habe vor kurzem auch versucht, im Schmuggelgeschäft im Westen mitzumischen.
«Die Tatsache, dass es der ukrainischen Regierung nicht gelingt, die Extremisten dieses rechten Sektors besser zu kontrollieren, könnte sich mittelfristig zu einem Bumerang für die Reformbemühungen des Landes auswirken», sagt Gysling.