SRF News Online: Wie ist die Stimmung vor den Wahlen?
SRF-Korrespondent Pascal Weber: Die Ägypter sind erschöpft von all den Turbulenzen seit 2011. Die meisten wollen nur noch Ruhe und Stabilität. Dafür nehmen sie auch ein Regime in Kauf, welches mit genauso harter Hand vorgeht wie früher Hosni Mubarak. Die wöchentlichen Anschläge von islamistischen Gruppierungen gegen die Staatsmacht bestärken dieses Gefühl noch.
Wie präsentiert sich der Wahlkampf?
Wahlkampf gibt es praktisch keinen. Für die meisten Ägypter gibt es keine Zweifel, dass der frühere Armeechef Abdel Fattah al-Sisi gewinnen wird. Dieser wiederum hat sich entschieden, gar keinen Wahlkampf zu führen. Er gab ein paar ausgewählten TV-Sendern und Zeitungen einige wenige Interviews, das war's. Ein politisches Programm hat er dabei nicht zu erkennen gegeben. Alles, was er verspricht, ist Sicherheit und Stabilität – also genau das, was die Leute hier hören wollen.
Es gibt ja gar keine eigentliche Opposition, oder?
Der einzige Herausforderer, Hamdeen Sabahi, tut sich schwer, sich nur schon Gehör zu verschaffen. Wenn er 30 Prozent der Stimmen erhalten sollte, wäre dies schon ein riesiger Erfolg – zumal sich wichtige Oppositionsgruppen wie beispielsweise die Revolutionsbewegung «6. April» oder die Anhänger des gemässigten Islamisten Aboul Fottouh für einen Wahlboykott ausgesprochen haben.
Welche Rolle spielen die Muslimbrüder?
Die Muslimbrüder spielen zurzeit überhaupt keine Rolle mehr – mit Betonung auf «zurzeit». Die Bewegung ist als terroristische Organisation verboten worden, ihre Anführer sitzen im Gefängnis oder sind auf der Flucht, die Anhänger werden mit Massenprozessen und Massen-Todesurteilen eingeschüchtert. Ex-Armeechef Sisi verspricht den Leuten, dass es eine «Muslimbruderschaft» unter seiner Präsidentschaft nicht geben werde.
Doch die Muslimbrüder werden ihr Comeback «feiern»?
Ich finde es reichlich naiv zu glauben, dass man eine mehr als 80 Jahre alte Idee mit Waffengewalt und Todesurteilen einfach so aus der Welt schaffen könnte. Im Gegenteil, die Islamisten erhalten so nur noch mehr Zulauf. Zudem geschieht hier etwas auf längere Sicht ganz Gefährliches: Die Menschen entziehen sich immer mehr dem Staat.
Beispiel Justiz: Diese hatte unter Mubarak wenigstens noch halbwegs den Ruf, unabhängig und zum Schutz der Bürger da zu sein. Mit den massenhaften Todesurteilen der letzten Monate verliert die Justiz diesen Ruf gänzlich. Wenn die Menschen vom Staat aber nicht mehr erreicht werden können, ist dieser am Ende nicht mehr funktionsfähig und wird zum gescheiterten Staat.
Wie sieht es in punkto Sicherheit aus? Es gibt ja immer wieder Anschläge.
Sisi ist für die Anhänger von Ex-Präsident Mursi ein rotes Tuch. Die Wahlen an sich sind für sie ein Affront. Das heisst, es dürfte rund um die Wahlen und auch danach zu vermehrten Versuchen kommen, den Prozess zu stören, auch mit Gewalt. Generell hat sich die Lage im Vergleich zum letzten Herbst zwar etwas beruhigt, die Anschläge richten sich zudem gezielt gegen die Staatsgewalt, aber ich erwarte keine ruhigen Wahlen.
Haben die Menschen noch Hoffnung auf Besserung?
Sie haben sogar eine übertriebene Hoffnung. Und genau das ist das nächste Gefährliche: Viele Menschen hier hoffen, mit Sisi als Präsident werde sofort alles besser. Das wird es natürlich nicht, und deshalb wird hier nur der Grundstein für die nächste Revolte gelegt.
Ägypten und seine jüngsten Krisen
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Bild 1 von 8. Der 25. Januar 2011 geht in die ägyptische Geschichte ein. «Der Tag des Zorns» nimmt seinen Lauf: Das Volk bäumt sich aus Unzufriedenheit gegen Präsident Hosni Mubarak und seine Regierung auf. Die Polizei schreitet ein. Bildquelle: Reuters.
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Bild 2 von 8. Januar 2011: Die Welt blickt auf den Tahrir-Platz. In Kairo protestieren Tausende Ägypter gegen die Regierung Hosni Mubaraks. Dieser stand während 30 Jahren an der Macht. Die Ägypter fühlen sich vom Beginn des Arabischen Frühling in Tunesien ermutigt. Bildquelle: Reuters.
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Bild 3 von 8. Der heute 86-jährige Muhammad Hosni Mubarak regierte die arabische Republik Ägypten autokratisch. In den vergangenen Jahren wuchs der innenpolitische Druck. Schuld daran waren unter anderem Unterdrückung, grosse Armut und Arbeitslosigkeit. Am 11. Februar 2011 schliesslich tritt Mubarak zurück und ein Militärrat übernimmt die Macht. Bildquelle: Reuters.
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Bild 4 von 8. Bei den Wahlen zwischen Ende 2011 und Mitte 2012 erhalten die Muslimbrüder zusammen mit anderen islamischen Parteien eine Mehrheit im Parlament sowie in der verfassungsgebenden Versammlung Ägyptens. Ihr damaliger Parteivorsitzender Mohammed Mursi gewinnt im Juli 2012 die Präsidentschaftswahlen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 5 von 8. Doch auch Mursi vermag dem Land keine Stabilität zu bringen: Er räumt sich zusätzliche Macht gegenüber der Justiz ein. Liberale, Linke und Säkulare gehen auf die Strassen. Zudem wird ein neuer Verfassungsentwurf bestimmt, der sich u.a. auf die Scharia stützt. Die politischen und ökonomischen Missstände machen die Bevölkerung immer unzufriedener. Bildquelle: Reuters.
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Bild 6 von 8. Mohammad Mursi gibt sich jedoch nicht geschlagen: In einer Fernsehansprache Anfangs Juli 2013 teilt er all seinen Gegnern, die dessen Rücktritt fordern, mit, er werde an der Macht bleiben. Und er lässt sie wissen: Seine Funktion als legitim gewählter Präsident werde er mit seinem Leben verteidigen. Bildquelle: Reuters.
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Bild 7 von 8. Wenige Tage später nur übernimmt das Militär die Kontrolle. Die Armeespitze hat Mursi seines Amtes enthoben und eine Übergangsregierung eingesetzt, die das Land bis zu Neuwahlen führen soll. Schliesslich wird Friedensnobelpreis-Träger Mohammed el-Baradei Vizepräsident. Er verkündet aber am 14. August 2013, nach nur zwei Monaten, seinen Rücktritt. Bildquelle: Keystone.
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Bild 8 von 8. Er sitzt am Drücker: Der Chef des Militärs und Verteidigungsminister sowie vorübergehender Ministerpräsident General Abd Al Fattah Al Sissi. Jetzt will er alles selbst in die Hand nehmen. Al Sissi kandidiert bei den Neuwahlen um das ägyptische Präsidentenamt. Bildquelle: Keystone.