Wulider ist erst 14 Jahre alt. Zwei Monate lang war er unterwegs mit seinem 18jährigen Bruder. Über 2000 Kilometer haben sie zurückgelegt, zu Fuss und auf dem Dach des Güterzugs, der nicht umsonst «die Bestie» genannt wird.
«Wir fuhren auf dem Dach der Bestie. Es regnete, wir froren und deckten uns mit einer Plastikplane zu», sagt Wulider zur «Tagesschau». Banditen hätten sie bedroht: «Wenn Du nicht 100 Dollar Gebühr zahlst, werfen sie dich vom Dach». Ihrer Mutter in der Heimat hätten sie nichts von der Reise gesagt. Wulider träumt von einem Job in den USA – um für seine Mutter sorgen zu können, wie er sagt.
Armut und Gewalt in der Heimat
Es ist die Armut, die Migranten aus Honduras, Guatemala und El Salvador in die USA treibt. Und die Gewalt. Die dreifache Mutter Elsacelestina hält ihre 5-jährige Tochter auf den Knien und erzählt, wie sie sie mit Schlafmitteln betäubt hätte, damit sie still sei auf der Reise. Sie sei sich das bewusst, dass sie das Leben ihrer Kinder riskiere, zuhause aber sei sie von den Drogenkartellen bedroht worden. «Wenn die USA uns zurückschicken, töten uns die Kartelle.»
Drogenkartelle kontrollieren den Rio Grande
Wulider, Elsacelestina und dutzende andere Migranten sitzen in der mexikanischen Grenzstadt Reynosa fest. Sie haben kein Geld mehr und können den Rio Grande-Fluss nach Texas nicht überqueren, weil Schmuggler 150 Dollar verlangen. Auch die Grenze werde von Drogenkartellen kontrolliert, heisst es, wer nicht bezahle, komme nicht lebend rüber.
Auf der anderen Seite, in der texanischen Grenzstadt McAllen steht Grenzwächter Albert Spratte auf dem Damm und schaut kopfschüttelnd auf den Fluss. «Früher rannten sie von uns weg», sagt er zur «Tagesschau», «heute laufen sie uns in die Arme».
Werbespots in Honduras geben falsche Hoffnung
Bis zu 1000 Migranten nehmen die US-Grenzwächter momentan täglich fest. Offenbar gibt es Werbespots am Fernsehen in Honduras, in denen gesagt wird, dass Kinder in den USA aufgenommen würden.
Das ist nicht ganz falsch: Gemäss einem Gesetz von 2008 dürfen unbegleitete Minderjährige nicht sofort ausgeschafft werden. Sie müssen innert 72 Stunden dem Gesundheitsdepartement übergeben werden, das nach Familienmitgliedern in den USA sucht oder sie in Heimen unterbringt. Dort sollen sie auf den Termin vor Gericht warten, wo in den meisten Fällen ihre Ausschaffung verfügt wird.
Die Gerichte aber sind hoffnungslos überlastet. Bis zur Verhandlung vergehen Monate. Gemäss Grenzwächter Albert Spratte tauchen «rund 95 Prozent» ab.
Obama will im Alleingang handeln
Aus Regierungskreisen ist nun zu hören, dass Präsident Obama das Gesetz von 2008 im Alleingang ändern wolle, um Minderjährige schneller ausschaffen zu können. Ferner verlangt er vom Kongress Ausgaben von zwei Milliarden Dollar, um mehr Grenzwächter und Einwanderungsrichter zu beschäftigen.
Obama steht unter Druck von links und rechts: Die Demokraten wollen die rund zwölf Millionen Sans Papiers im Land legalisieren. Die Republikaner werfen dem Präsidenten vor, das aktuelle Drama provoziert zu haben, weil er zu wenig in den Grenzschutz investiert habe.
Die Reform des veralteten und löchrigen Einwanderungsgesetzes ist unterdessen seit einem Jahr im Kongress blockiert. Das Drama am Rio Grande geht weiter.