Viele in Kanada kannten Justin Trudeau schon, als er als kleiner Bub in kurzen Hosen neben seinem Vater stand, neben Pierre Eliot Trudeau. Von 1968 an regierte dieser 16 Jahre lang und drückte dem modernen Kanada seinen liberalen Stempel auf; er schrieb die Charta der Rechte und Freiheiten und den Multikulturalismus in die Verfassung.
Als Justin Trudeau letzten Herbst an die Spitze der krisengeschüttelten Liberalen Partei trat, schoss diese in den Umfragen sofort ganz nach oben.
Starke Gegner für Trudeau Jun.
Trudeau hat zwei starke Gegner. Einerseits den bisherigen Regierungschef Stephen Harper, der vor allem konservative Wähler in den Prärie-Provinzen und in der Agglomeration rund um Toronto anspricht, und andererseits Thomas Mulcair, den Chef der sozialdemokratischen NDP, der es zu weiten Teilen auf die gleichen fortschrittlichen und urbanen Wählergruppen abgesehen hat wie Trudeau selber.
Nach dem Senkrechtstart letzten Herbst gingen Trudeaus Umfragewerte bald in einen steten Sinkflug über. Alle lobten sein tolles Aussehen, seine gute Frisur, aber die Gegner säten Zweifel an seinen Fähigkeiten.
«Er schiesst ein bisschen zu oft aus der Hüfte», sagt die Abgeordnete Megan Leslie von der sozialdemokratischen NDP. Tatsächlich hat Trudeau anders als seine Gegner keine Regierungserfahrung, auch nicht auf Provinz- oder Gemeindeebene. Er schloss eine Ausbildung als Mittelschullehrer ab.
Weniger Charme als Trudeau, aber mehr Erfahrung in der Politik hat Mulcair, der Chef der sozialdemokratischen NDP. Trotz seiner trockenen Art hat sich der Mann mit dem Bart im Lauf des Jahres immer mehr als der Herausforderer von Regierungschef Harper etabliert. Mulcair hatte immer schon konsequent die Wirtschaftspolitik der Regierung kritisiert.
Tiefer Ölpreis stürzt das Land in eine Rezession
«Herr Harper hat alle Eier in einen Korb gelegt und dann hat er den Korb fallen lassen», sagte Mulcair mit einem englischen Sprichwort. Er meinte damit: Haper habe die Industrie vernachlässigt und voll auf die Förderung von Erdöl im Westen des Landes gesetzt. Jetzt, wo der Ölpreis gepurzelt ist, stecke Kanada in einer Rezession.
Überzeugender und konsequenter als Trudeau kritisierte Mulcair auch die Sicherheitspolitik der Regierung. Er sagte klar Nein zum umstrittenen Anti-Terrorgesetz Harpers und zur Entsendung von Kampffliegern nach Syrien. Die Sicherheitspolitik sowie die Angst vor diffusen Gefahren ist für Harpers Wahlkampf sehr wichtig.
«Der IS ist zum globalen Nervenzentrum einer gewalttätigen Dschihadisten-Bewegung geworden, die Hunderttausende Menschen abschlachtete, bevor wir mit Kampfflugzeugen interveniert haben», sagte Harper.
Erst, jetzt im eigentlichen Wahlkampf, ist es Trudeau gelungen, seine Trümpfe auszuspielen. In den TV-Duellen debattiert er überzeugend. Ausserdem hat er deutlich mehr Charisma als beide seine Gegner. Und er hat das Hauptargument der Gegner, er sei nicht genügend vorbereitet, das Land zu führen, erfolgreich gegen diese gewandt. «Stephen Harper sagt, ich sei nicht bereit. Ich sage euch, wozu ich nicht bereit bin. Ich bin nicht bereit zuzusehen, wie unsere Wirtschaft in eine Rezession abgleitet, wie hart-arbeitende Kanadier ihren Job verlieren».
Vielleicht bleibt alles beim Alten
Trudeaus Werbespot war im Internet ein riesiger Erfolg und markierte eine Wende. Kurz vor der Wahl steht Trudeau in den Umfragen wieder an der Spitze. Dicht gefolgt zwar von Premier Harper. Aber viele Wählerinnen und Wähler, die Harper dringend weg haben wollen, setzen jetzt offenbar auf Trudeau als aussichtsreicheren Herausforderer, und nicht mehr auf Mulcair.
Aber: Kanadas Majorz-Wahlrecht ist gut für Überraschungen. Es ist nach wie vor möglich, dass Harper nach der kommenden Wahl weiterregiert, auch wenn seine zwei Herausforderer zusammen klar mehr Stimmen machen. Es wird spannend.