Das Parlament im Kosovo hat sich internationalem Druck gebeugt und mit einer Verfassungsänderung den Weg für ein Sondertribunal geebnet. Das Gericht soll Gräueltaten von Kosovo-Albanern an Serben im Kosovo-Krieg Ende der 1990er Jahre ahnden. Es soll um Morde, Verschleppungen, Vertreibungen, sexuelle Gewalt und die Zerstörung von Kirchen gehen.
Wenig Freude bei UCK-Veteranen
Die Verbrechen sollen Rebellen der inzwischen aufgelösten Kosovo-Befreiungsarmee UCK in der Zeit von 1998 bis Ende 2000 begangen haben. 85 Parlamentarier stimmten für die Vorlage, 5 votierten dagegen. Allerdings boykottierte die Opposition, die mit 120 Sitzen im Parlament vertreten ist, die Abstimmung.
UCK-Veteranen protestierten vor dem Parlament gegen das Tribunal und riefen «Verräter». Das Gericht gilt als Teil des Normalisierungsprozesses zwischen Serbien und dem Kosovo, um den sich die EU bemüht. Ziel der EU ist es, die serbische Minderheit in dem fast nur noch von Albanern bewohnten Kosovo dort zu integrieren.
Die Kosovaren empfinden das Sondertribunal als Fremdgericht.
Vorwürfe aus Dick Martys Bericht
Das kosovarische Parlament habe eigentlich keine Wahl gehabt, sagt SRF-Mitarbeiter Walter Müller in Belgrad. Wenn es nämlich dem Sondertribunal nicht zugestimmt hätte, wäre ein solches vom UNO-Sicherheitsrat eingesetzt worden. Die Regierung des Kosovo habe argumentiert, es sei besser, wenn der junge Staat seine internationalen Verpflichtungen erfülle, statt unter dem Generalverdacht zu stehen, die UCK-Kämpfer seien ein Haufen von Kriegsverbrechern.
Die Vorwürfe gegen UCK-Führer gehen auf den Bericht des Tessiners Dick Marty zurück, den dieser im Auftrag des Europarats verfasst hat. Marty hatte Ende 2010 schwere Verdachtsmomente geäussert. Demnach sollen UCK-Leute serbischen Gefangenen Organe entnommen und diese verkauft haben. Auch sollen Serben in Gefangenschaft gefoltert und getötet worden sein. Zudem liegt der Vorwurf des Drogenhandels in der Luft.
Wenig Akzeptanz bei den Kosovaren
Als einen der Hauptverantwortlichen benannte Marty den heutigen Aussenminister und ehemaligen UCK-Kommandanten Hashim Thaci. Trotzdem setzte sich dieser in den vergangenen Jahren aber für die Installation des Sondergerichts ein. «Er wollte das Sondertribunal um jeden Preis durchbringen – wohl auch, um seinen eigenen Namen reinzuwaschen», glaubt Müller. Dies habe erst nach mehreren Anläufen geklappt. Einige Volksvertreter von Thacis Partei hätten ihren Widerstand schliesslich aufgegeben und am Montag für die Verfassungsänderung gestimmt. «Warum, wissen wir nicht», stellt der SRF-Mitarbeiter fest.
Ob das Gericht tatsächlich eine Verbesserung der Beziehungen zwischen Serbien und dem von ihm abgespaltenen Kosovo bringt, bezweifelt Müller allerdings. Denn der Entscheid für das Sondergericht sei nicht aus Einsicht gefallen, mögliche Kriegsverbrechen der Kosovo-Albaner müssten untersucht werden. Einzig der internationale Druck habe die Zustimmung bewirkt. Das Sondertribunal werde denn auch als «Fremdgericht» empfunden, so Müller. Entsprechend dürften künftige Urteile schlecht akzeptiert werden. Sein Fazit: «Die Beziehungen zwischen Serbien und dem Kosovo werden schwierig bleiben.»