«Tag 2 der Schlacht um die Hochburg des Islamischen Staates – was bisher geschah». Was wie eine amerikanische Blockbuster-Serie angekündigt wird, ist bitterer Ernst. In kurzen Schnitten, mit dramatischer Musik unterlegt, fasst der katarische Nachrichtensender «Al Jazeera» das Kriegsgeschehen im Irak zusammen.
Luftaufnahmen in Schwarz-Weiss zeigen, wie eine Drohne eine Siedlung in einen gewaltigen Feuerball taucht. Irakische Soldaten rücken auf ein Dorf vor, die Aufnahmen stammen von einer verwackelten Helmkamera. Kugelhagel, dann feuert einer der Kämpfer einen Raketenwerfer ab. Im Hintergrund ist eine heftige Explosion zu hören.
Schliesslich verlassen Soldaten auf Panzern, eingetaucht in das dramatische Abendrot der Wüste, jubelnd den Kriegsschauplatz. Das rund einmütige Video war nur der Prolog: Jetzt geht es in den dritten Tag der Kriegsberichterstattung auf Facebook. «Live aus den Vororten von Mossul, wo über eine Million Menschen eingeschlossen sind.» Durch das Geschehen führt ein «eingebetteter Kriegsreporter» mit kugelsicherer Weste und Stahlhelm. Krieg 2.0.
Beschränkter Nachrichtenwert
Das audiovisuelle Gewitter aus Explosionen, Schusswechseln und weniger dramatischen Passagen, wie etwa dem Transport von Kriegsmaterial, schaffen für Medienpsychologe Werner Wirth nur bedingt Aufklärung: Der Fortschritt und der Erfolg der Operation gegen den IS lasse sich daraus nicht nachempfinden.
Das ist nicht der Krieg.
Auch wenn es aus Sicht der Medien nachvollziehbar sei, mit Exklusivmaterial aufwarten zu wollen, zweifelt Wirth am Erkenntniswert der Live-Berichterstattung: «Schüsse, die ins Nirgendwo gehen, Ruinen von Häusern, Lastwagenkonvois – das ist nicht der Krieg.»
Tatsächlich seien die Aufnahmen sogar kontraproduktiv: «Sie beruhen zu einem gewissen Grad auf einem Missverständnis: Die Bilder haben keinen wirklichen Nachrichtenwert.»
Krieg aus der Ego-Perspektive
Denn nicht alles was, technisch möglich ist, hält der Medienpsychologe an der Universität Zürich auch für sinnvoll: «Der Nachrichtenwert resultiert erst aus der kompetenten Bearbeitung des Materials und der Zuhilfenahme von Experten, die Hintergründe und Zusammenhänge erläutern.»
Doch verharmlosen die Aufnahmen die Realität des Kriegs? Wirth unterscheidet, denn die Medien hätten sich Selbstbegrenzungen auferlegt und würden ihre Inhalte filtern – im Gegensatz zu den Aufnahmen von Soldaten und Kämpfern, die teils verstörendes Material auf Plattformen wie Youtube und Facebook posten. Und das in einer Optik, die derjenigen von Ego-Shootern gleicht.
Abstumpfung beim Zuschauer
«Helmkameras von Soldaten vermitteln beispielsweise die Ästhetik von Computerspielen. Ich denke aber nicht, dass die Zuschauer deswegen nicht mehr zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können.» Derlei Aufnahmen verbreiten zwar auch die Nachrichtenstationen – aber sie setzen Grenzen: «Wenn Soldaten aber mit sogenannten Bodycams unterwegs sind und es Verletzte oder Tote gibt, entstehen erhebliche ethische Probleme.»
Noch nie war Krieg so nah wie heute. Doch Wirth bezweifelt, dass wir deswegen auch besser informiert sind als früher. Ganz im Gegenteil: Der Medienpsychologe glaubt, dass die Bilderflut abstumpft – egal, ob sie via Nachrichtenstationen oder über Private verbreitet wird: «Sie führt zu einer Sättigung und insgesamt erlahmt das Interesse. Die Medien müssen das Relevante daraus ziehen.»