Lamya Kaddor ist Tochter syrischer Eltern, die noch vor ihrer Geburt nach Nordrhein Westfalen gezogen waren. Sie ist Deutsche und Muslimin. Kopftuch trägt die Religionswissenschaftlerin und –lehrerin nicht, und begründet dies theologisch.
Im Gegensatz zu den meisten Kindern und Jugendlichen, die sie unterrichtet, hat sie sich intensiv mit dem Koran und seinen Interpretationen auseinandergesetzt. Und sie versucht ihren Schülerinnen und Schülern zu vermitteln: es gibt nicht nur eine einzige wahre Interpretation ihrer Religion. Wer dies verstehe, sei auch weniger anfällig für Fundamentalisten, die behaupteten, sie würden die einzige Wahrheit kennen.
Nur Gott kenne die Wahrheit, meint Lamya Kaddor. Als einige ihrer Ex-Schüler trotzdem den Islamisten folgten, war sie geschockt. Inzwischen hat sie ein Buch über das Phänomen geschrieben, warum bisher über fünfhunderfünfzig deutsche Jugendliche, der jüngste von ihren dreizehn Jahre alt, den Dschihadisten in Kriegsgebiete gefolgt sind. Fast zwanzig waren es aus der Stadt Dinslaken im Ruhrgebiet.
Suche nach Anerkennung und Akzeptanz
Die Radikalisierung von jungen Menschen passiere schnell: meist in nur wenigen Monaten. Die Salafisten wüssten auch, was sie den Jungen bieten müssten: sie seien «die besseren Sozialarbeiter» als andere Figuren in der Gesellschaft.
Muslimische Jugendliche fühlten sich in erster Linie als Muslime abgelehnt. Als solche definierten sie sich, weil sie sich weder als Deutsche noch zum Beispiel als Türken fühlten. Nur, was der Islam sei, wüssten sie auch nicht genau:
Wo sollen sie denn den Islam kennenlernen, wenn nicht durch das Elternhaus? Und wenn sie religiöse Analphabeten als Eltern haben, die mehr Tradition als Religion leben, dann wird’s sehr schwierig
Oft könnten ihnen Fundamentalisten erzählen, was sie wollten, und wenn sie ihnen dann auch noch Anerkennung und Gruppenzugehörigkeit bieten würden, sei’s oft um sie geschehen. Wer einmal drin sei, komme fast nicht wieder heraus.
Zwei Seiten der gleichen Medaille
Je grausamer die Taten, die Anschläge von Islamisten sind, desto verbreiteter wird im Westen das Misstrauen gegenüber Muslimen, manchmal wird daraus sogar Hass. Je mehr sich junge Muslime abgelehnt fühlen, zum Beispiel in der Stadt, wo Lamya Kaddor unterrichtet, desto anfälliger werden sie für die Botschaft von Islamisten. Islamisten und Islamhasser seien zwei Seiten derselben Medaille, ist Lamya Kaddor überzeugt.
Vier der fünf ehemaligen Schüler, die in den Dschihad gezogen waren, kehrten wieder nach Deutschland zurück. Einem hat Lamya Kaddor persönlich die Ohren langgezogen. Aber es brauche mehr, ist die junge Religionslehrerin überzeugt: die Eltern, die Imame, die ganze Gesellschaft müsse viel mehr tun, damit fundamentalistische «Menschenfänger», wie sie sie nennt, junge Menschen gar nicht erst verführen könnten.
Zum Thema hat Lamya Kaddor ein Buch geschrieben: „Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen.“ (Piper Verlag, 2015)
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