Die Ermordung des Oppositionspolitikers Chokri Belaïd sorgt in Tunesien für Entsetzen. Belaïd war Anwalt, Menschenrechtsaktivist und Chef der linksgerichteten oppositionellen Partei der Demokratischen Patrioten. Er galt als harscher Kritiker der amtierenden Regierung, die von Islamisten dominiert wird.
Chokri Belaïd verliess am Morgen sein Haus und wurde mit vier Schüssen niedergestreckt. Sie trafen Kopf und Brust. Im Spital starb er an seinen schweren Verletzungen. Wer hinter der Tat steckt, ist nicht klar.
Belaïds Familie macht die Regierungspartei Ennahda für die Tat verantwortlich. Der Politiker hatte die Partei am Vortag öffentlich heftig kritisiert. SRF-Maghreb-Experte Beat Stauffer sagt: «Vieles weist darauf hin, dass der Ennahda nahestehende Milizen mit dem Mord etwas zu tun haben könnten.» Der Regierungspartei könne allerdings keine direkte Beteiligung nachgewiesen werden.
Teilweise gewaltsame Proteste
Massenweise strömten nach dem Attentat Menschen auf die Strassen und protestierten – in mehreren Städten, darunter in der Hauptstadt Tunis und Sidi Bouzid. Dort hatte vor zwei Jahren die Revolution des Arabischen Frühlings begonnen.
Einige von ihnen zündeten Autoreifen an und bewarfen Polizisten mit Steinen. Auch Büros der Ennahda-Partei seien angegriffen und in Brand gesetzt worden, sagte deren Chef Gannouchi. Ennahda wies jegliche Verantwortung für den Mord an Belaïd zurück.
Tunesiens Premier warnt vor Anarchie
Die tunesische Führung verurteilte die Tat als politischen Mord. Ennahda-Ministerpräsident Hamadi Jebali sagte, die Ermordung Belaïds sei ein «Verbrechen gegen Tunesien». Gleichzeitig rief er die Bevölkerung zur Besonnenheit auf und warnte vor Anarchie.
«Tunesien befindet sich in einer sehr schwierigen Lage», sagt Stauffer. Die ständigen Proteste im Hinterland seien wie Funken. Und diese könnten einen Brand entfachen in diesem Land ohne handlungsfähige Regierung.
Frankreichs Präsident François Hollande sagte, Tunesien habe mit Belaïds Tod eine seiner mutigsten und unabhängigsten Stimmen verloren. «Frankreich ist besorgt über die Zunahme von politischer Gewalt in Tunesien», sagte Hollande.
Streit um die Zukunft
In Tunesien streiten seit dem Sturz von Machthaber Zine al-Abidine Ben Ali vor zwei Jahren säkulare und islamistische Kräfte über die Ausrichtung der Politik des Landes.
Hardy Ostry leitet das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis. «Über Täter und Motiv gibt es zahlreiche Spekulationen», sagt der Tunesien-Spezialist. Klar ist für ihn: «Dieser Mord ist für Tunesien ein Einschnitt.» Erst recht in dieser Zeit nach der Revolution.
Es ist das erste politische Attentat in dem Land seit 1952. Und die Reaktionen zeigen, dass die Emotionen hoch gehen: In mehreren Städten finden Demonstrationen statt.