Sex gegen Bezahlung: Ausgerechnet Amnesty International will Prostitution entkriminalisieren. Das hat die Menschenrechtsorganisation gestern abend in Dublin an der Hauptversammlung entschieden. Anwesend waren sämtliche Sektionen, die es auf allen Kontinenten gibt. Am Entscheid mitbeteiligt war auch die Frauenrechtsexpertin Stella Jegher von Amnesty Schweiz.
SRF: Sind Sie zufrieden mit dem Entscheid, den Amnesty International gefällt hat?
Stella Jegher: Ja. Es war eine schwierige, aber wichtige Entscheidung. Dem Entscheid vorausgegangen war eine langjährige Diskussion. Ich finde es gut, wenn eine globale Menschenrechtsorganisation wie Amnesty International beim Schutz der Menschenrechte von Sexarbeiterinnen Flagge zeigt und einen klaren Entscheid trifft.
Prostitution entkriminalisieren – heisst das Prostitution legalisieren?
Entkriminalisierung heisst nicht, dass wir eine gesetzliche Regelung fordern. Wir lassen bewusst offen, wie, ob und in welchem Umfang Prostitution gesetzlich geregelt werden soll. Entkriminalisierung heisst in erster Linie, dass einvernehmliche sexuelle Beziehungen zwischen erwachsenen Menschen nicht per Strafgesetz geregelt werden sollen. Eine Person, die sich prostituiert, soll nicht für ihre Tätigkeit bestraft werden. Wir sagen auch klar, dass sobald im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit Ausbeutung, Gewalt, Nötigung oder Menschenhandel im Spiel sind, muss das strafrechtlich verfolgt werden.
Inwiefern sollen denn Frauen – oder auch vereinzelt Männer – besser geschützt sein, wenn ihre Arbeit nicht mehr polizeilich verfolgt wird?
Wir treffen je nach Land unterschiedliche Situationen an. Gemein ist den meisten, dass die Sexarbeiterinnen darunter leiden, dass nicht nur sie selbst, sondern das Gewerbe oder die Rahmenbedingungen ihrer Arbeit kriminalisiert sind. Das beginnt damit, dass Sexarbeiterinnen von der Polizei belästigt, ausgenützt oder erpresst werden. Das kann auch heissen, dass ihre Familienmitglieder bestraft werden, weil es zum Beispiel verboten ist, vom Einkommen aus Prostitution zu leben. Viele Prostituierte leben in schwierigen Situationen und müssen ihre Arbeit im Geheimen ausüben.
In einem offenen Brief warnt das Bündnis «Koalition gegen Frauenhandel», der Name «Amnesty International» werde mit diesem Entscheid beschmutzt. Diesen Appell haben auch Schauspielerinnen wie beispielsweise Meryl Streep oder Emma Thompson unterschrieben. Was ist ihre Reaktion darauf?
Wir lassen uns von diesem Druck nicht beeinflussen. Unser Ziel ist, die Menschenrechte von Menschen, die in der Prostitution tätig sind, zu schützen und zu gewährleisten. Diese Appelle sind zum Teil von der falschen Idee geleitet, dass Menschenhandel und Prostitution ein und dasselbe sind. Das ist es nicht.
Wir bejahen ganz klar, dass Gesetze gegen Menschenhandel gestärkt werden müssen. Amnesty hat immer wieder an Staaten appelliert, die Ausbeutung von Menschen im Sexgewerbe zu verhindern und den Opfern zu helfen – übrigens auch in der Schweiz. AI hat die klare Haltung, dass Menschenhandel bestraft werden muss.