Dass Berlusconi die Regierung nicht stürzen konnte und im letzten Augenblick wie in einem schlechten Theater seine Meinung wechseln musste, dass sei eine riesige Niederlage, sagt Stefano Folli – riesig, weil Berlusconi nicht aus Kalkül für Letta stimmte, sondern weil er nicht anders konnte. Seine eigenen Senatoren haben ihn dazu gezwungen.
Berlusconi geht damit politisch geschwächt aus diesem Machtkampf. Er wird die Regierung weniger drangsalieren können als noch bis gestern. Er habe im letzten Moment für Letta gestimmt, um die Spaltung seiner Partei zu kaschieren, weiss Folli. Die Einigkeit sei aber nur oberflächlich. Im Inneren ist «Forza Italia» zerrissen.
Aufsplittung in EU-Gegner und Befürworter
Stefano Folli: «Mit dem heutigen Tag ändert sich etwas in Italiens Politik. Die Meuterer in Berlusconis Partei werden eine neue Gruppierung bilden, die europafreundlich ist, die mit den Linken eine Zusammenarbeit sucht.» Auf der anderen Seite bleibt Berlusconi mit seinen Getreuen. Er werde eine anti-europäische, anti-Euro- und anti-Richter-Politik betreiben, ist Folli überzeugt.
Das heisst, das rechte Lager wird sich spalten – in einen extremistischen und einen moderaten Teil. Das alles werde nicht so schnell vonstatten gehen, da Berlusconi mit seinem kurzfristigen Einschwenken den Riss etwas kitten konnte. Aber aufzuhalten sei die Spaltung kaum, wie der langjährige Journalist ausführt.
Traum von «einer Art italienischen CDU»
Dass die Abtrünnigen früher oder später wirklich eine offene und moderne Partei bilden werden, ist freilich nicht zwingend. Viele Protagonisten kommen aus Kreisen der reaktionären katholischen Laienbewegung «Communione e Liberazione». Ein Ex-Regionalpräsident steht unter Korruptionsverdacht. Ein anderer macht seit Jahren mit homophoben Sprüchen Schlagzeilen. Ein Dritter war Mitglied in der Geheimloge P2 – alles in allem ein nicht sehr appetitlicher Zusammenschluss.
Folli teilt die Bedenken teilweise. Falls sich die neue Formation aber zu einer Partei mausere und Altlasten loswerde, könnte sie auch den linken «Partito Democratico» erschüttern, glaubt er. «Es waren Katholiken in Berlusconis Lager, die den Aufstand anzettelten. Sie träumen schon lange davon, eine Art italienische CDU zu gründen.»
Im linken «Partito Democratico» gibt es ebenfalls viele Katholiken, die Berlusconi aber nicht ausstehen können. Bleibt Berlusconi nun aussen vor, kann sich Folli gut vorstellen, dass sich linke und rechte Katholiken wieder finden.
Kein Regierungswechsel bis 2015 möglich
Das alles ist Zukunftsmusik. Realität ist, dass Premier Enrico Letta – der übrigens auch aus dem links-katholischen Lager stammt – gestärkt dasteht. «Falls Letta es schafft, mit der neuen Gruppierung der Moderaten auf der rechten Seite weiterhin gut zusammenzuarbeiten, dann würde es mich nicht überraschen, wenn er bis 2015 im Amt bliebe», sagt Folli.
In der zweiten Hälfte 2014 übernimmt Italien für sechs Monate das EU-Ratspräsidium. Das sei wie eine Garantie, dass die Regierung dann nicht gestürzt werde, so Folli. Es muss gesagt sein: Letta ist der eindeutige Sieger heute und wird dies politisch wohl nutzen können.