SRF News online: In Syrien herrscht Bürgerkrieg. Es ist aber auch die Rede von einem Stellvertreterkrieg. Die Türkei, Saudi-Arabien, Katar und Libyen auf Seite der Aufständischen, Iran auf Assads Seite. Was verfolgen diese Akteure?
Roland Popp: Schon vor Beginn des Arabischen Frühlings haben diese Akteure um die Vormacht in der Region gerungen. Mit der Revolution kam Bewegung in die rigide politische Situation im Nahen Osten. Die Staaten witterten die Möglichkeit, in Syrien die bestehende Machtbalance zu ändern. Deshalb hatten Saudi-Arabien oder Katar schon früh die Opposition unterstützt. Von dem her ist es ein Stellvertreterkrieg. Das Ziel der Anti-Assad-Allianz: ein Regimewechsel – ein sunnitisch konservativ-islamisches Regime. Damit würde die Macht Irans eingeschränkt werden, das als Verbündeter Syriens gilt. Es geht diesen Ländern also um geopolitische Interessen, und keinesfalls um Demokratie.
Wie festigen die Länder ihren Einfluss?
Die militärische Unterstützung hält sich in Grenzen. Es gelangen so gut wie keine hochtechnologische Waffen wie Luftabwehrraketen zu den Aufständischen. In erster Linie werden sie von den Golfarabern finanziell unterstützt. Das ist einfacher als Waffensysteme in das Konfliktland hineinzubringen.
Wie hoch sehen Sie die Gefahr, dass durch die Unterstützung salafistisch-islamistischer Kampfgruppen durch die Golfaraber ein Religionskrieg entfacht wird zwischen Schiiten und Sunniten?
Es gibt verbreitet Sorge darüber. Je länger der Konflikt dauert und Gräueltaten an der Zivilbevölkerung verübt werden, umso mehr schreitet die Entwicklung in diese Richtung. Ich warne aber davor, alles in einen Konflikt der Religionen zu projizieren. Die sunnitischen Araber stellen zwar die grosse Mehrheit in Syrien und die Führung in Damaskus enthält einen grossen Anteil von Minderheiten. Aber dennoch ist der Konflikt gegenwärtig vorwiegend ein politischer Konflikt zwischen Regime und Opposition um die Herrschaft, und kein Krieg zwischen Sekten und Religionsrichtungen.
Assad benutzt die Islamisierung aber auch als Kriegspropaganda.
Das Regime setzt auf diese Karte, um Kämpfer gerade aus den Minderheiten zu rekrutieren. Diese Propaganda schürt unter Christen, Alawiten und Drusen Angst, dass die Islamisten an die Macht kommen. Aber gleichzeitig muss Assad aufpassen, nicht zu übertreiben. Denn die meisten Soldaten in den Streitkräften sind Sunniten. Wenn sie denken, sie würden ein alawitisches Minderheitsregime verteidigen, ist die Neigung zum Desertieren stark. Fallen die Streitkräfte auseinander, ist es wohl das Ende von Assads Regime. Im Anschluss könnte tatsächlich eine Art Religionskrieg drohen.
Rechnen Sie mit einem jahrelangen Abnutzungskrieg?
Man kann es nicht völlig ausschliessen. Aber mein Bauchgefühl sagt nein. Ich sehe, dass es insgesamt in Richtung Sieg der Rebellen geht. Es ist ihnen gelungen, die ländlichen Regionen zu sichern. Assad ist nicht mehr in der Lage, diese Gebiete zurückzuerobern. Seine Truppen kontrollieren noch die grossen Städte. Aleppo ist beispielhaft für die Zukunft, die Assad blühen könnte: Die Armee kontrolliert nur die Hälfte der Stadt. Die Versorgungslinien sind allerdings unterbrochen. Normalerweise fallen solch isolierte Städte, ich kann aber nicht sagen ob in einer Woche oder in Monaten.
Wie wichtig ist der Rückhalt in der Bevölkerung? Momentan unterstützen die Bewohner der Stadt noch eher Assads Regime.
Es gilt: die «hearts and minds» der Bevölkerung zu gewinnen. Irgendwann wird auch der Druck in den Städten Auswirkungen auf die Leute haben. Wenn sich das Gros der Bevölkerung der Opposition anschliesst, hat Assad schnell verloren. Mittelfristig sieht es eher schlecht aus für Assad-Regime.
UNO-Experten sagen, militärisch sei der Krieg nicht lösbar. Auch auf Dialogebene hat bis jetzt noch nichts gefruchtet. Wann sehen Sie ein Ende des Konflikts?
Ich glaube, dass die Rebellen von einem militärischen Sieg überzeugt sind. Langsam aber sicher nehmen sie eine Militär-Basis nach der anderen ein. Eine Verhandlungslösung sehe ich kaum, ausgenommen bei einer Palastrevolte gegen Assad. Mit einer solchen neuen Konstellation, also ohne den bisherigen Diktator, könnte die Opposition wieder in einen Dialog eintreten, ohne das Gesicht zu verlieren und die eigenen Prinzipien zu verraten.