Nach dem Untergang eines Flüchtlingsschiffes vor der libyschen Küste am Mittwoch wird weiter nach den vermutlich rund 200 Vermissten gesucht. Der Einsatz werde ohne Pause fortgesetzt, teilte die italienische Küstenwache mit. Allerdings ist die Hoffnung gering, noch Überlebende zu finden.
373 Überlebende
Bis zum Nachmittag konnten 373 Menschen gerettet werden. Sie erreichten am Nachmittag Sizilien, wo sie von Hilfsorganisationen im Empfang genommen und betreut wurden. Die Helfer bargen zudem 25 Leichen. Insgesamt sollen etwa 600 Menschen an Bord gewesen sein. Die Überlebenden des Unglücks stammten italienischen Medienberichten zufolge vor allem aus Syrien, Eritrea, dem Sudan, Somalia und Bangladesch.
Nach Angaben von Geretteten waren etwa 100 Migranten im Frachtraum des Schiffes, als es kenterte. «Wir haben gehört, dass das Boot sehr schnell, innerhalb von Minuten gesunken ist», sagte eine Sprecherin des UNO-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR in einem Fernsehinterview.
Mutmassliche Schlepper abgeführt
Italien-Korrespondent Philipp Zahn berichtet, dass bei der Ankunft der Überlebenden in Palermo die italienische Polizei auch vier bis fünf junge Männer abgeführt habe. Anders als bei Schlauchbooten brauche es bei Fischerbooten Schlepper – oder zumindest von ihnen beauftragte Personen –, die das Schiff lenken könnten. «Mithilfe von Augenzeugenberichten und Aussagen Überlebender» gelinge es den italienischen Behörden, die sogenannten Schlepper zu identifizieren.
Doch handle es sich bei den Festnahmen um die Steuermänner der Boote und nicht um die Hintermänner, welche das Geld mit dem Menschenhandel machen, führt Zahn aus. Generell bliebe es schwierig, gegen die Schlepperbanden vorzugehen. «In den meisten Fällen werden Schlauchboote verwendet», sagt Zahn. Das klappe, weil die Fahrt mit 20 bis 30 Seemeilen von der Küste weg relativ kurz sei. Danach senden die Flüchtlinge ein Notsignal aus und hoffen auf Rettung.
EU-Kommission fordert «europäischeren Ansatz»
Vertreter der Brüsseler EU-Kommission brachten ihre «grosse Trauer» über das jüngste Unglück zum Ausdruck. «Es ist klar, dass wir einen neuen und europäischeren Ansatz brauchen», erklärten EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans, die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini und der für Flüchtlinge zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos.
Die EU arbeite hart daran, solche Tragödien zu verhindern und habe die Mittel für die Seenotrettung verdreifacht, sagte EU-Kommissionssprecherin Natasha Bertaud. Seit 1. Juni dieses Jahres seien über 50'000 Menschen gerettet worden. Doch obwohl die Zahl der auf Hoher See Ertrunkenen zurückging, sei dies nicht genug.
Die Rettungsaktionen seien nötig, weil eine kollektive europäische Flüchtlings- und Migrationspolitik zu kurz greife. Es gebe keine einfachen Antworten, auch könne kein Land allein die Herausforderungen wirksam bewältigen.
Libyen wolle zudem gar nicht, dass die EU auf nordafrikanischem Territorium operiere, meint SRF-Korrespondent Zahn. So gesehen seien der EU die Hände gebunden. Da kämen auch völkerrechtliche Fragen ins Spiel, die ungeklärt seien.