Schuljahresbeginn 2016 in der Türkei: Das ist normalerweise Routine für 18 Millionen Schüler im Land. In diesem Jahr aber ist der erste Schultag für viele Schüler Anlass, um gegen die Entlassung ihrer Lehrer zu demonstrieren.
Zehntausende Lehrkräfte wurden nach dem gescheiterten Putsch landesweit wegen Verdachts der Zugehörigkeit zur Gülen-Bewegung oder wegen Nähe zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK beurlaubt beziehungsweise entlassen. Allein in Diyarbakir waren es 4'300.
Auf Plakaten von Protestierenden steht zu lesen: «Lasst meine Lehrer in Ruhe.» In mehreren Städten gab es Schülerproteste wie diesen in Diyarbakir. Sie alle wurden von der Polizei gewaltsam aufgelöst und immer wieder kam es zu vorübergehenden Festnahmen.
«Wir wollen unseren Lehrer zurück. Es gibt kaum mehr Lehrer an unserer Schule, die Klassenzimmer bleiben deshalb leer», sagt ein Schüler.
«Die Regierung benutzt den Putschversuch als Vorwand»
Dreissig Lehrer haben bis vor Kurzem an der Süleyman Schule in Diyarbakir unterrichtet. Im Zuge des nach dem Putschversuch vom 15. Juli verhängten Ausnahmezustands wurden 19 suspendiert, der Rest versetzt. Viele Lehrkräfte sorgen sich deswegen um die Ausbildung ihrer Schüler.
«In dieser Schule wurden 2'000 Schüler unterrichtet. Seit Schulbeginn findet man dort keinen einzigen Schüler mehr, die Behörden haben alle nach Hause geschickt, es fehlt einfach an Lehrkräften», sagt der Lehrer Mehmet Attlan.
Gewerkschaftsmitglieder sehen dahinter auch eine Strategie der Regierung, die Macht der Arbeitnehmervertretung zu brechen. «Die Regierung benutzt den Putschversuch als Vorwand. Im Zuge des Ausnahmerechts entfernt sie per Erlass politisch unliebsame Personen und das ohne rechtliche Grundlage», sagt Lami Özgen, Vorsitzende der Vereinigung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes.
Gleichwohl: Die Regierung will Kurs halten. Der Ministerpräsident sagte zum ersten Schultag: «Zeigt keinerlei Nachsicht mit Lehrerkollegen, die der Fethulah-Gülen-Bewegung oder der PKK helfen. Lasst sie nicht in eurer Mitte leben», so Binali Yildirim.
Sprechverbot für Lehrer
Über diesen Aufruf der Regierung wollten die Reporter in Diyarbakir noch einmal mit dem Lehrer Mehmet Attlan reden. Doch lange geht das nicht, plötzlich taucht Zivilpolizei auf und nimmt unseren Gesprächspartner vorübergehend fest. Begründung: Als Beamter dürfe er gar nicht mit uns sprechen. Schulalltag in der Türkei in diesen Tagen.