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International Nepal-Erdbebenhilfe: «Schweizer Organisationen sind schneller»

Vor knapp vier Monaten bebte in Nepal die Erde – mit fürchterlichen Folgen. Tausende Menschen starben, Millionen verloren ihr Zuhause. Eine Welle der Hilfsbereitschaft schwappte auch durch die Schweiz. SRF-Korrespondentin Karin Wenger erklärt die jetzige Situation vor Ort.

SRF News: Vier Monat ist das schwere Beben in Nepal her. Wie stellt sich die Lage vor Ort dar, was sind die grössten Probleme?

Karin Wenger: Das grösste Problem sind die zerstörten Häuser. Hunderttausende von Menschen leben in Plastikverschlägen und jetzt ist Regenzeit. Tagsüber ist es extrem heiss, in der Nacht sehr kalt, die hygienischen Verhältnisse sind schlecht. Die Menschen brauchen neue, erdbebensichere Häuser, aber das kostet Geld, was niemand hat. In Sindhupalchowk wurden auch die meisten Schulen zerstört und das bedeutet, dass viele Kinder noch immer nicht zur Schule können.

Karin Wenger

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Karin Wenger ist seit Frühling 2016 Südostasien-Korrespondentin von SRF in Bangkok. Sie berichtet über Indonesien, Malaysia, Philippinen, Thailand, Burma, Vietnam und weitere südostasiatische Länder. Wenger lebte zuvor sechs Jahre lang in der indischen Hauptstadt Neu Delhi. Früher berichtete sie als freie Journalistin aus dem Nahen Osten.

Welche Rollen spielen die örtlichen Behörden?

Von Distrikt zu Distrikt ist das verschieden. An einigen Orten sind sie tatkräftig und versuchen keine bürokratischen Hürden einzubauen, an anderen Orten ist das anders. Zu Verzögerungen führte, dass die Regierung die Nothilfe vor einigen Wochen für abgeschlossen erklärte und Steuern auf Hilfsgüter erhob, die ins Land gebracht wurden. Das führte zum Beispiel dazu, dass unzählige Lastwagen, die für das Rote Kreuz Werkzeugkisten ins Land bringen sollten, an der indisch-nepalesischen Grenze gestrandet waren. Zudem gibt es auf politischer Ebene Unklarheiten, wer den Wiederaufbau koordinieren soll. All das führt zu Verzögerungen bei der Nothilfe und dem Wiederaufbau. In Dholaka zum Beispiel haben viele Bewohner erst 20 Franken von der Regierung bekommen, in Sindhupalchowk waren es an vielen Orten 150 Franken.

Zahlreiche Hilfsorganisationen sind vor Ort. Können Sie etwas zur Arbeit der Schweizer Organisationen sagen?

Im Vergleich zu den riesigen internationalen Organisationen wie beispielsweise Oxfam, Save the Children oder den UNO-Organisationen, spielen die Schweizer Organisationen eine kleine Rolle. Aber da einige dieser Organisationen schon seit Jahrzehnten im Land sind, zum Beispiel Helvetas, haben sie bereits gute Strukturen und ein lokales Netzwerk. Das vereinfacht die Arbeit. Die Schweizer Organisationen arbeiten viel schneller und flexibler als die grösseren. In Sindhupalchowk hat Caritas bereits mehr als 40 temporäre Schulen wieder aufgebaut, während grössere Organisationen noch immer planen. Früher hätten die lokalen Bewohner eine zerstörte Schule selbst aufgebaut, jetzt aber fehlt ihnen das Geld und die Zeit dafür, da ihre eigenen Häuser zerstört sind.

Audio
«Alles was wir erhalten, hilft - weil wir alles verloren haben»
aus Echo der Zeit vom 10.08.2015. Bild: Karin Wenger, SRF
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 2 Sekunden.

Jede namhafte Hilfsorganisation ist vor Ort. Entsteht da keine Konkurrenzsituation?

Natürlich wollen alle am liebsten irgendwo in Strassennähe und gut sichtbar sein. Das sind die beliebten Orte. Auch gibt es – wie immer in solchen Katastrophensituationen – Schwierigkeiten bei der Koordination. Ich habe jedoch primär positives gehört von den internationalen Hilfswerksvertretern. Das Ausmass der Zerstörung ist so gross, dass es für alle genügend Möglichkeiten gibt, um zu helfen.

Erreicht die Hilfe die Notleidenden?

In den gut erreichbaren Orten kommt die Hilfe an. Schwierig und komplizierter sind die Hilfslieferungen zu weit entlegenen Gebieten. Die Betroffenen müssen oft stundenlang zu Fuss gehen, um zu einem Feldspital zu gelangen oder zu einer Ortschaft, wo eine Verteilung der Hilfsgüter stattfindet. Klagen hörte ich jedoch kaum, viel mehr grosse Dankbarkeit für die Hilfe. Die wenigsten Betroffenen, mit denen ich gesprochen habe, rechnen damit, dass die Regierung aktiv wird und hilft. Diese hat sie in den vergangenen Jahren zu oft im Stich gelassen.

Welche Rolle spielen die Nepalesen, die im Golf, in Malaysia oder in Indien arbeiten für den Wiederaufbau?

Ohne die Migranten-Arbeiter könnten die meisten Familien nicht überleben – das war schon vor dem Erdbeben so. Sie tragen 25 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei, 60 Prozent der Nepalesen sind auf die Gelder angewiesen, die ihre Familienmitglieder aus dem Ausland nach Hause schicken. Nach dem Erdbeben sind viele der Migranten-Arbeiter zurück gekommen, um beim Wiederaufbau zu helfen und weil sie sicher stellen wollen, dass ihre Familien etwas von der Hilfe abkriegen. Längerfristig und falls die Menschen nicht genügend finanzielle Hilfe bekommen, um ihre Häuser wieder aufzubauen, könnten jedoch mehr Nepalesen Arbeit im Ausland suchen, um so den Wiederaufbau zu finanzieren.

Tourismus ist ein anderer wichtiger Wirtschaftszweig im Land. Wie sehr ist der Tourismus vom Erdbeben betroffen?

Extrem stark. Und zwar nicht, weil die Touristenorte nicht mehr zugänglich sind, sondern weil sich viele davor fürchten, nach dem Erdbeben in Nepal Ferien zu machen. Das ist verheerend für das Land. Nepal brauchte die Touristen nie so sehr wie jetzt nach dem Erdbeben. Dabei sind die meisten Touristenorte intakt. Das Erdbeben hat ja vor allem partielle Zerstörung angerichtet. In Kathmandu beispielsweise funktioniert alles und das Leben ist auf den Durbar Square in Patan, einer berühmten Touristenattraktion, zurückgekehrt. Bislang geschlossen ist das Langtang Tal, eine der populärsten Trekking-Destinationen. Dort starben Dutzende Touristen und lokale Anwohner in einem Bergsturz. Verschiedene Trekking-Anbieter versuchen jetzt die Touristen für kombinierte Aufräum- und Trekking-Touren zu motivieren.

Das Gespräch führte Oliver Roscher

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