«Vor rund 10 Jahren haben Jugendliche ihre Radikalisierung klar zur Schau gestellt», sagt Gilles de Kerchove im Gespräch mit Radio SRF. Als Beispiele nennt er die Bekleidung, das Tragen eines Barts, religiöse Praktiken wie das Beten und die demonstrative Ablehnung des Staates. «Heute verbergen viele ihre Gesinnung bewusst, indem sie auf diese herkömmlichen Zeichen verzichten.»
Die Veränderungen haben er und seine Kolleginnen und Kollegen in Gefängnissen beobachtet, aber auch ausserhalb. Gefängnisse gelten allgemein als Brutstätten der Radikalisierung. Die meisten Terroristen, welche in letzter Zeit in Europa einen Anschlag verübten, haben sich im Gefängnis radikalisiert.
Ausserdem zeigt sich heute, dass eine Person auch ohne persönlichen Kontakt zum radikalen Dschihadisten werden kann. «Es reichen virtuelle Kontakte zu dschihadistischen Netzwerken im Internet», stellt Kerchove fest. Die EU-Mitgliedsstaaten setzen deshalb vermehrt auf die Überwachung des Internets.
Ohne Beweise keine Strafverfolgung
Allerdings gibt es nicht nur bei der Prävention offene Fragen, sondern auch bei der Rückkehr der Kämpfer. Kerchove beobachtet, dass die IS-Führung seine Soldaten neuerdings bewusst dazu auffordert, weniger Spuren im Internet zu hinterlassen, also weniger Bilder zu veröffentlichen, welche die Zugehörigkeit zum IS dokumentieren. «Wenn keine solchen Beweise für Verbrechen mehr existieren, ist es unmöglich, die Kämpfer nach ihrer Rückkehr ins Gefängnis zu stecken», stellt Kerchove ernüchtert fest.
Der Anti-Terror-Beauftragte rechnet in den nächsten Monaten mit mehr Rückkehrern. Grund sei die russische Militärintervention in Syrien. Kerchove fordert deshalb die EU-Mitgliedsstaaten dazu auf, bessere Re-Integrations-Angebote zu installieren. «Dänemark hat ein bekanntes solches Programm. Ansonsten existieren erst Pilotprojekte.»