Die Bilder von Hunderten ertrunkenen Flüchtlingen haben Europa schockiert. Und der Flüchtlingsstrom reisst trotz stürmischer See nicht ab. Italiens Küstenwache greift immer wieder Flüchtlinge auf, die mit ihren untauglichen Booten in Seenot geraten sind.
Das soll sich mit dem neuen Überwachungssystem Eurosur ändern. Die EU hat es jetzt gestartet. Mit Eurosur soll die illegale Einwanderung sowie der Drogen- und Menschenschmuggel bekämpft werden. Doch das System ist umstritten. Wird es im Mittelmeerraum ab heute also weniger Bootsflüchtlinge geben?
Andere Gründe für Flüchtlingsströme
Urs Bruderer, EU-Korrespondent von SRF in Brüssel, ist skeptisch: «Das glaube ich nicht. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt, die Anzahl Bootsflüchtlinge hängt von anderen Faktoren ab.» Beispielsweise seien das Wetter, die Jahreszeit und die Ereignisse in Nordafrika und im Nahen Osten zu berücksichtigen. «Es ist die Verzweiflung, die die Leute nach Europa treibt. Sie nehmen dafür offensichtlich die Todesgefahr in Kauf.»
Auch offiziell rechnet Brüssel nicht damit, dass jetzt weniger Flüchtlinge an Europas Grenzen aufgegriffen wird. «Die Hoffnung ist jedoch, dass mittelfristig vielleicht etwas weniger Flüchtlinge kommen, weil die Überfahrt nach Europa schwieriger sein wird. das könnte sich herumsprechen», erklärt Bruderer.
Flüchtlinge fernhalten statt retten
Eurosur kommt nicht überall gut an. Es diene nicht – wie angekündigt – dem Schutz der Flüchtlinge, sondern sei ein weiteres Mittel der Abschottung, sagen Kritiker. Daran ist laut Bruderer etwas dran: «Nach dem Unglück von Lampedusa im Oktober haben die Politiker davon gesprochen, dass Eurosur auch solchen Menschen helfen könnte.»
In erster Linie wolle das System aber nicht Flüchtlinge retten, sondern sie von Europa fernhalten. «Man will Flüchtlinge früh erkennen – so früh, dass man sie legal wieder zur Umkehr bewegen kann», sagt Urs Bruderer. «Hier wurde also ein Abschottungssystem schönfärberisch als Rettungssystem verkauft.»
Bruderer räumt aber ein: Das Eurosur-System könnte auch einen positiven Effekt haben. Flüchtlinge könnten vielleicht schneller entdeckt werden, entsprechend könne man ihnen schneller helfen. «Vor allem: Ich kann mir vorstellen, dass Wegschauen ein bisschen schwerer wird. Die Information über ein Boot in Not kommen jetzt auch beim Nachbarn an.»