SRF: In Schweden wird am 14. September ein neues Parlament gewählt. Zeichnet sich ein Machtwechsel ab?
Skandinavien-Mitarbeiter Bruno Kaufmann: Die Umfragen deuten schon seit Monaten klar darauf hin, dass die rot-grünen Parteien weit mehr Stimmen auf sich vereinigen können. Die Unterschiede liegen bei bis zu 15 Prozent.
Nach acht Jahren bürgerlicher Regierung zeigen sich Abnutzungserscheinungen
Wie ist das zu erklären?
Nach acht Jahren bürgerlicher Regierung zeigen sich Abnutzungserscheinungen. Das merkt man vor allem daran, dass die kleineren, bürgerlichen Koalitionsparteien in den Schatten der grossen, konservativen Partei geraten sind. Sie haben Mühe, Wähler auf sich zu vereinen. Schon bei den letzten Wahlen vor vier Jahren hat die bürgerliche Regierung im Parlament die Mehrheit verloren und muss seither mit wechselnden Mehrheiten regieren. Auch das liegt ihr natürlich nun schwer auf.
Eine bürgerliche Regierung in Schweden ist eher die Ausnahme. Dennoch konnte Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt mit seiner Regierung nun acht Jahre lang das Ruder übernehmen. Was ist dieser Regierung geglückt?
Ihr ist es vor allem gelungen, Schweden durch eine wirtschafts- und finanzpolitisch stürmische Zeit zu navigieren. In den Jahren seit Ausbruch der globalen Finanzkrise schaffte es Schweden ganz gut, seine Stabilität aufrechtzuerhalten, Überschüsse einzuplanen und auch zu realisieren.
Auch die Arbeitslosigkeit konnte sie auf einem relativ tiefen Niveau halten. Gleichzeitig wurden gewisse Reformen durchgeführt: Man gewährte kleineren und mittleren Unternehmen Steuererleichterungen. Schweden ist es unter Reinfeldt auch gelungen, eine offene und liberale Gesellschaft weiterzuentwickeln. Ich denke dabei an das Eherecht für gleichgeschlechtliche Partner oder an die Offenheit gegenüber Arbeitskräften nicht nur aus der EU sondern auch aus Drittstaaten.
Der Wahlkampf in Schweden geht in die Endrunde. Welches sind die dominierenden Wahlkampfthemen?
Die Schwedendemokraten haben es in den letzten vier Jahren geschafft, ihren braunen, rassistischen und nazistischen Stempel abzulegen
Die beiden grössten Themen der Schlussphase in diesem Wahlkampf sind die Bildungs- und Einwanderungspolitik. Bei der Bildungspolitik geht es darum, dass Schweden in den letzten Jahren in den Pisa-Studien immer schlechter abgeschnitten hat. Dafür macht die Opposition die freie Schulwahl verantwortlich, die unter der Regierung Reinfeldt eingesetzt und vertieft wurde. Die rot-grüne Opposition sieht hier die Gründe für die geringeren Leistungen, für die grösseren Unterschiede zwischen verschiedenen Schulen und zwischen Stadt und Land. Sie möchte die freie Schulwahl ein bisschen einschränken. Was die Einwanderungspolitik angeht, ist man eher gleicher Meinung: Man möchte an einer offenen Politik festhalten. Es geht aber auch darum, dass Schweden in Europa mitunter zu den grössten Empfängerländern von Flüchtlingen gehört und dementsprechend Geld braucht. Im Wahlkampf wird diskutiert, wie weit man hier gehen soll.
Blicken wir noch ans ganz rechte Spektrum der schwedischen Politik: 2010 schafften die rechtspopulistischen Schwedendemokraten die vier Prozenthürde und zogen das erste Mal ins Parlament ein. Wir ihnen das wieder gelingen?
Ja, ohne Zweifel. Die Partei hat es in den letzten vier Jahren geschafft, ihren braunen, rassistischen und nazistischen Stempel abzulegen. Sie hat sich erfolgreich von dieser Art von Extremismus distanziert. Sie ist nun die einzige Partei, die sich für einen Austritt Schwedens aus der EU stark macht. Sie ist eine nationalkonservative Partei geworden, die sich einfach in die Vergangenheit zurücksehnt. Damit spricht sie ein älteres und ländliches Publikum an. Es wird damit gerechnet, dass die Schwedendemokraten vielleicht sogar zur drittgrössten Partei werden könnten, mit einem Wähleranteil von über zehn Prozent.
Das Gespräch führte Andrea Christen.