Wenige Stunden nach der Einigung zwischen der ukrainischen Führung und der Opposition weicht die erste Erleichterung bereits der Enttäuschung. Zehntausende Demonstranten empfingen die Verhandlungsführer der Opposition am Abend auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew mit Pfiffen und Buhrufen.
Viele Demonstranten, vor allem die radikdalen Regierungsgegner, fordern weiterhin einen Rücktritt von Präsident Vikto Janukowitsch. In Sprechchören forderten sie den Kopf des Präsidenten: «Tod dem Knastbruder!» – eine Anspielung auf eine Gefängnisstrafe, die Janukowitsch als Jugendlicher wegen eines Raubüberfalls verbüsst hatte.
Der Anführer der radikalen Splittergruppe Rechter Sektor, Dmitri Jarosch, kündigte an, nicht die Waffen niederzulegen, bevor der Staatschef zurücktrete. Anderer Redner drohten damit, die Präsidialverwaltung zu stürmen.
Erste Einigung erzielt
Wenige Stunden zuvor hatten die Konfliktparteien im Land ein Abkommen unterzeichnet, dass die Krise im Land beenden soll. Unter Vermittlung der EU vereinbarten die Konfliktparteien vorgezogene Präsidentenwahlen bis zum Dezember, eine Rückkehr zur parlamentarischen Demokratie und eine Übergangsregierung unter Beteiligung der Opposition.
Teile der Einigung brachte das Parlament am Abend bereits auf den Weg. Die Oberste Rada stimmte für eine Rückkehr zur Verfassung von 2004. Sie beschneidet die Macht des Präsidenten deutlich, das Parlament wird im Gegenzug gestärkt.
Zudem ebneten die Abgeordneten den Weg für eine Freilassung der seit gut zwei Jahren inhaftierten Oppositionspolitikerin Julia Timoschenko. Präsident Janukowitsch muss beide Gesetze noch unterzeichnen, damit sie in Kraft treten können.
Die Oberste Rada setzte darüber hinaus den umstrittenen Innenminister Witali Sachartschenko ab. Die Opposition macht den 51-Jährigen für die brutalen Einsätze der Polizei gegen friedliche Demonstranten verantwortlich.
Drama bis zur letzten Minute
Das nun unterzeichnete Abkommen kam unter Vermittlung von drei EU-Aussenministern und eines russischen Gesandten zustande. Sie hatten seit Donnerstag in Kiew mit Janukowitsch und den Führern der Opposition verhandelt. Die Delegation bestehend aus dem deutschen Bundesaussenminister Frank-Walter Steinmeier und seinen Amtskollegen aus Frankreich, Laurent Fabius und Radoslaw Sikorski aus Polen rangen die ganze Nacht in Kiew um eine Lösung.
Als die Vereinbarung stand, holten Steinmeier und Sikorski die Zustimmung des sogenannten Maidan-Rates ein. Dem Gremium gehören verschiedene Gruppen von Regierungsgegnern an, die seit Wochen im Kiewer Stadtzentrum demonstrierten, darunter auch Radikale und Gewaltbereite.
«Nicht alle Probleme gelöst»
«Wir haben eine Vereinbarung erreicht, die natürlich nicht allen Erwartungen und allen Vorstellungen entspricht», sagte der deutsche Aussenminister Steinmeier im Anschluss.
«Damit sind nicht alle Probleme gelöst, aber der Inhalt der Vereinbarung lässt uns zuversichtlich nach vorne schauen.» Steinmeier sprach von der «vielleicht letzten Chance, um einen Ausweg aus der Spirale der Gewalt zu finden».