International - Ruag: Die Täter können sich ins Fäustchen lachen
Fast im Monatsrhythmus wird publik, dass sich Staaten illegal Informationen beschaffen. Die Ruag ist kein Einzelfall. Aber selbst wenn klar ist, wer dahinter steckt, die Täter bleiben ungestraft. Friedensforscher Daniele Ganser hält die Veto-Praxis des UNO-Sicherheitsrates für eine der Ursachen.
Im Fall der Ruag hat die Bundesanwaltschaft (BA) im Januar 2016 ein Strafverfahren gegen Unbekannt eröffnet. Möglicher Tatbestand: Wirtschaftsspionage nach Artikel 273 StGB. Bezüglich der Erfolgschancen dieses Verfahrens gibt sich die BA indes keinen Illusionen hin.
«Rechtshilfeersuche, welche den verbotenen Nachrichtendienst betreffen, bleiben erfahrungsgemäss unbeantwortet», schreibt die Behörde auf Anfrage von SRF News. Das Interesse von angreifenden Staaten oder Organisationen an der Offenlegung von Wirtschaftsspionage sei gering.
Übertragen auf den Rechtsalltag des «kleinen Mannes», bedeutet diese Aussage vor allem eines: Offenbar gibt es ein Recht, dass Staaten das Spionieren verbietet, aber keine Richter, die in der Lage wären, Zuwiderhandlungen zu ahnden.
Eigene Gesetze am Laufmeter brechen
Ganser bestätigt diese Auffassung im Grossen und Ganzen. «Die UNO-Charta von 1945 lässt keine Zweifel», sagt Ganser im Gespräch mit SRF News, «es ist Nationen verboten, zur Befriedigung ihrer Interessen andere Staaten anzugreifen, in ihnen Revolutionen zu entfachen, eine Regierung zu stürzen oder ihnen Informationen zu stehlen.»
Wer dem zuwider handelt, wird mittels einer Resolution des UNO-Sicherheitsrates bestraft. So zumindest die Theorie des Völkerrechts.
In Wahrheit hätten die Unterzeichner der Charta in den vergangenen Jahren dieses Gesetz mehr als 50 Mal gebrochen. Damit hätten sie gleichzeitig den Sicherheitsrat sabotiert, erklärt Ganser. Ohne jegliche Konsequenzen.
Die Liste der Beispiele ist lang. Sie reicht über den vom britischen MI6 orchestrierten Sturz der iranischen Regierung im Jahr 1953, über die Invasion von Kuba durch die CIA 1961, die Bombardierung von Serbien im Kosovokrieg 1999, den Putsch in der Ukraine 2014 oder den laufenden Syrienkrieg.
Bush und Blair haben knallhart gelogen
Ungeachtet der Allianzen verlaufen diese Rechtsbrüche gemäss Ganser nach dem immer gleichen Muster. Eine Nation wähnt ihre (in fast allen Fällen ökonomischen) Interessen durch eine andere Nation oder durch Bevölkerungsgruppen dieser Nation in Gefahr. Dann lokalisiert sie gesellschaftliche Problemherde in der vermeintlich feindlichen Nation (im Nahen Osten oft religiöse Bruchlinien) und sorgt entlang dieser Bruchlinien für Spannungen.
«Bricht dann ein Konflikt aus, solidarisieren sich die verdeckten Angreifer mit der einen Gruppe und erklären die andere zur Achse des Bösen», sagt Ganser und verweist auf den Libyenkrieg 2011. Alle folgenden, völkerrechtlichen Missachtungen würden dann unter dem Deckmäntelchen militärischer Hilfestellung begangen und vor der eigenen Bevölkerung legitimiert. «Und zur Not erschleichen sie sich diese Legitimation auch mit knallharten Lügen, wie George Bush und Tony Blair im Irakkrieg bewiesen.»
Seit 1945 führen die Siegermächte des 2. Weltkrieges einen versteckten Krieg.
Es liegt für Ganser an der aktuellen Ausgestaltung der UNO-Idee, dass Nationen wie China, die USA oder auch Grossbritannien mit solch Dreistigkeiten durchkommen, ohne auch nur eine Feder zu lassen. «Das Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates verhindert eine effektive Umsetzung der UNO-Charta von 1945», prangert Ganser den gegenwärtigen Zustand zwischenstaatlicher Interessensregulierung an.
«Man kann es kaum anders ausdrücken: Seit 1945 führen die Siegermächte des 2. Weltkrieges immer wieder verdeckte Kriege, obschon diese verboten sind.» Gelange ein Fehlverhalten ans Licht, entgehe das ständige Sicherheitsrats-Mitglied seiner Bestrafung, indem es in der UNO lüge oder gegen die entsprechende Resolution sein Veto einlege, ergänzt Ganser.
Hinzukomme, dass diese 5 Grossmächte so genannte Klientelstaaten um sich scharen würden. Staaten, die unter ihrem Schutz das Völkerrecht ebenfalls mit Füssen treten und dann vor der UNO in den Genuss des entsprechenden Vetos der mit ihnen konspirierenden Grossmacht kommen. Eines, aber bei Weitem nicht das einzige Beispiel dafür ist die Seilschaft zwischen Israel und den USA.
Wir alle tragen eine Verantwortung
Aber einfach an dieser Stelle den Sack zuzumachen, wäre zu einfach, findet Ganser. «Auch wir sind anfällig für die Metapher des Bösen», führt der Wissenschaftler aus. Sobald Politiker unseren Wohlstand, sprich: unsere Arbeitsplätze ins Feld führen, sei so manch ein Bürger gewillt, über Missachtungen des Völkerrechts hinwegzusehen.
Dabei täten gerade kleine Staaten gut daran, auf der Durchsetzung beschlossenen Rechts zu bestehen. Und auch dazu, wie das konkret ausschauen könnte, hat Ganser Ideen: «Wir sollten unsere Neutralität hegen und der UNO Sorge tragen», sagt Ganser. Und wir sollten die Förderung erneuerbarer Energien vorantreiben. Denn in den meisten Fällen sei es die Abhängigkeit von Rohstoffen, die Nationen dazu verleiten würden, die UNO-Charta zu unterlaufen, oder mit Staaten, die das tun, gemeinsame Sache zu machen.
So wird die UNO-Charta mit Füssen getreten
srf/from;muelr
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