Die Kontrolle am Eingang von Biblis ist streng, obwohl das Kraftwerk seit vier Jahren nicht mehr am Netz ist. Wie eh und je stehen die zwei Betonhalbkugeln mit den Reaktoren und die vier Kühltürme nördlich von Mannheim am Rhein. Wie merkt man eigentlich, dass die Anlage ausser Betrieb ist? Gar nicht, sagt Rita Craemer. «Das einzig vielleicht erkennbare Zeichen ist, dass der Parkplatz nun deutlich leerer ist.»
Craemer, die Sprecherin des Energiekonzerns RWE, zeigt auf die andere Seite des hohen Zauns – auf das halbleere Parkfeld, wo eine Grille zirpt. Nur jeder vierte Arbeitnehmer wird noch gebraucht für den Rückbau. Ein Frust für alle hier, gibt Craemer unumwunden zu. Lange hat sie für das Unternehmen gearbeitet. Jetzt ist auch ihre Stelle befristet.
Dabei hat der eigentliche Rückbau noch gar nicht begonnen. Die Bewilligungen kommen nur schleppend voran. Auch nach dem Abschalten der Anlage ist die Angst der Bevölkerung vor radioaktiver Verseuchung nicht verschwunden. Die Leute befürchten, dass dekontaminiertes Eisen nach dem Abbau wiederverwertet wird und dann etwa als Leitungsrohr in einem Kindergarten oder als Bratpfanne weiter strahle, sagt Craemer. Dabei sei das gar nicht möglich.
Es sei schwierig, räumt Craemer ein. «Man kann es immer wieder erklären. Aber es ist eine Frage, die im Bauch der Menschen entsteht. Und solche Gefühle kann man schlecht mit Sachargumenten wegbekommen.»
Möglichst schnell will der Konzern RWE das Kernkraftwerk zurückbauen. Die Planung läuft auf Hochtouren. Und man zieht Lehren aus bereits abgeschlossenen Rückbauten andernorts, sagt Craemer. Als Problem habe sich zum Beispiel erwiesen, dass auf einmal der Strom fehlte. Deshalb werden in Biblis jetzt neue mobile Generatoren eingebaut. «Wenn sie einen Raum entkernen, ist danach alles weg. Aber sie brauchen ja trotzdem noch Strom, um die Restarbeiten durchzuführen. Erst danach kann man die Tür schliessen.»
Gefährliche Handarbeit
Noch besser wäre, wenn von Beginn weg keiner reinmüsste. Wenn keiner die radioaktiv verseuchte Schicht von Wänden und Decken abschleifen müsste. Bisher geschieht das nämlich – ausser natürlich im hochradioaktiven Bereich – grösstenteils in Handarbeit.
Ingenieure wie Patrick Kern vom Institut für Technologie in Karlsruhe wollen das ändern. Der junge Wissenschaftler steht in einer grossen Halle, umgeben von verschiedenen Maschinen und Robotern. «Wir sind hier an der Professur für den Rückbau von kerntechnischen Anlagen angesiedelt. Hier haben wir unsere Versuchsstände und Manipulatoren», erklärt Kern.
Ein Roboter mit Saugnäpfen soll helfen
Zum Beispiel das mannshohe Gerät mit Saugnäpfen, vor dem er gerade steht. «Mit Hilfe dieser Saugnäpfen können wir über die Oberflächen laufen: Die Wände hoch, nach links, nach rechts, hoch und runter, wir können mit diesen Kletterrobotern drehen.»
Ein ferngesteuertes Gerät also, das mit einem Laser die obersten zwei Millimeter der Betonwand abträgt. Die radioaktiv verstrahlte Schicht wird sogleich abgesaugt und dann in grossen Fässern fürs Endlager gesammelt.
Kern führt in einen Nebenraum, wo eine Kollegin speziell gestärkte Raffelzähne testet, um den Beton abzuraffeln. Die Zähne stecken auf sogenannten Schäl-Lamellen. Das Problem dabei: Jede Maschine, die im verstrahlten Bereich zum Einsatz kommt, wird umgehend auch zu Abfall. «Man müsste diese Schäl-Lamellen aufwändig entsorgen oder dekontaminieren.»
Deshalb versuchen die Ingenieure jetzt, die Raffelzähne auf der Lamelle zumindest langlebiger zu machen, so das möglichst wenig zusätzlicher radioaktiver Abfall fürs Endlager entsteht. Alles was hier rumsteht, ist noch im Testbetrieb. Der Roboter ist ein Prototyp. «Das ist der erste Schritt, die nächsten müssen nun folgen. Wir sind absolut am Anfang dieser Entwicklung.»
Die Rückbautechnik für die alten AKW ist noch in Entwicklung, aber der weltweite Markt wächst. Es gibt bereits spezielle Messen in diesem Bereich. Das Raspeln an den radioaktiv belasteten Betonwänden dürfte also noch deutlich effizienter werden.