Der ehemalige Chef des russischen Doping-Kontrolllabors, Grigori Rodschenkow, hat gegenüber der «New York Times» geschildert, wie ausgeklügelt die Russen an den Olympischen Spielen 2014 in Sotschi die Kontrolleure hintergingen. Das russische Team gewann in Sotschi 33 Medaillen. Von den Gewinnern seien deren 15 gedopt gewesen.
SRF-Korrespondent David Nauer in Moskau mit den Hintergründen zum jüngsten Doping-Cocktail, der den Sportlern angeblich mit Whisky und den Sportlerinnen im Martini verabreicht wurde.
SRF News: Wie soll dieser Doping-Betrug genau abgelaufen sein?
David Nauer: Grigori Rodschenkow schildert Szenen, die an einen Spionage-Krimi erinnern: Er habe als ehemaliger Chef der russischen Anti-Doping-Agentur schon Monate vor den Spielen angefangen, den Betrug zu planen. Und zwar mit Hilfe des Sportministeriums und des russischen Geheimdienstes. Unter anderem habe er einen ganz speziellen Doping-Mix erfunden, der bei Tests nur schwer zu entdecken sei.
Zudem habe man belastete Urinproben an den Spielen direkt im Labor gegen saubere Proben ausgetauscht. Die Fläschchen mit den verdächtigen Proben wurden nach den Worten von Rodschenkow durch ein Loch in der Wand in einen Nebenraum geschoben. Dort habe ein Agent des russischen Geheimdienstes die Flaschen geöffnet, ohne die Versiegelung zu beschädigen. So seien die Proben unbemerkt ersetzt worden.
Die Doping-Kontrolleure wachen mit Argusaugen über die Kontrollen. Wie plausibel ist Rodschenkow?
In Moskau werden die Vorwürfe kategorisch zurückgewiesen. Der Sportminister spicht von absurden Behauptungen. Es steht also Aussage gegen Aussage. Allerdings stehen die Doping-Vorwürfe nicht im luftleeren Raum. Es hat in letzter Zeit rund um den russischen Sport mehrere Doping-Skandale gegeben. Auch der Verdacht, dass der Staat direkt dahintersteckt, ist nicht neu. Für mich tönen die neuen Vorwürfe plausibel. Wieviel davon wirklich stimmt, kann ich nicht beurteilen.
Rodschenkow hat als Chef des russischen Anti-Doping-Labors eine zentrale Rolle gespielt: Welche Motive könnte er jetzt für seine Enthüllungen haben?
Rodschenkow war nach den Olympischen Spielen ein gefragter Mann in Russland und erhielt von Präsident Putin einen Orden. Als später massive Vorwürfe gegen das Anti-Doping-Labor bekannt wurden, habe man ihn, wie er selbst sagt, zum Rücktritt gezwungen. Er habe in Russland um seine Sicherheit gefürchtet und sei deshalb in die Vereinigten Staaten geflohen.
Seine Sorge war möglicherweise nicht unbegründet, denn zwei seiner ehemaligen Mitarbeiter verstarben im vergangenen Februar völlig unerwartet. Das kann Zufall sein, ist aber zumindest etwas unheimlich. Vielleicht will sich Rodschenkow nun absichern und die Unterstützung der Amerikaner sichern. Oder er möchte sich ganz einfach an seinen ehemaligen Chefs aus dem russischen Staatsapparat rächen, die ihn fallenliessen, als es brenzlig wurde.
Wie reagiert die russische Öffentlichkeit?
Bisher ziemlich geschlossen. Diverse Politker und Sportfunktionäre weisen die Vorwürfe allesamt als haltlos und unbegründet zurück. Vor allem wird die Glaubwürdigkeit von Rodschenkow angezweifelt, der quasi zum Erzfeind USA übergelaufen sei.
Die Zeitung «Sport-Express» aus Sankt Petersburg versucht es mit einem Scherz: So gebe es inzwischen so viele Doping-Anschuldigungen gegen Russland, dass man gleich eine olympische Disziplin daraus machen könne.
Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA hat Russland im Visier. In den nächsten Tagen soll entschieden werden, ob das Land an die Sommerspiele in Rio darf. Hat das in Russland etwas ausgelöst?
Die russischen Behörden reagieren immer mit der gleichen Doppelstrategie auf diese immer neuen Doping-Vorwürfe: Einerseits wird behauptet, es handle sich um einen Informationsangriff auf Russland. Anderseits gibt es aber auch Bemühungen, den Doping-Missbrauch einzudämmen. So versicherte Präsident Putin, Russland sei bereit, mit internationalen Anti-Doping-Agenturen zusammenzuarbeiten.
Aus meiner Sicht gibt es da allerdings ein Problem: Wenn der russische Staat tatsächlich derart massiv in Doping-Affären verstrickt ist, kann er wohl schwerlich gleichzeitig für sauberen Sport kämpfen. Dieser Widerspruch muss erst noch aufgelöst werden.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.