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Menschen beim Eingangstor zum KZ Auschwitz.
Legende: «Arbeit macht frei»: Zynische Parole zur unmenschlichen Behandlung im Konzentrationslager Auschwitz. imago

International Sanitäter im KZ – Mittäter oder Menschenfreund?

Ein heute 95-jähriger Mann soll im Konzentrationslager Auschwitz als Sanitäter gearbeitet haben. In dieser Funktion habe er Beihilfe zu Mord in über 3600 Fällen geleistet. Dem Angeklagten auf die Spur gekommen ist die Zentrale Stelle der Landesjustiz Deutschland. Nun steht er vor Gericht.

SRF News: Wie geht die deutsche Justiz zurzeit mit Naziverbrechen um?

Jens Rommel

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Rommel ist Staatsanwalt und leitet seit Oktober 2015 die Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg in Deutschland.

Jens Rommel ist eigenen Angaben zufolge mit dem Nazi-Generalfeldmarschall Erwin Rommel «weder verwandt noch verschwägert».

Jens Rommel: Es hat tatsächlich ein Umdenken in der Rechtsprechung stattgefunden. Früher musste man nachweisen, dass der Beschuldigte an einer konkreten Tat mit einer konkreten Handlung beteiligt war. Seit einiger Zeit gibt es einen neuen Ansatz.

Begonnen hat das im Verfahren gegen John Demjanjuk. Es wurde im letzten Jahr in Lüneburg bestätigt. Es ist nämlich ausreichend, dass man als Wachmann das Vernichtungsprogramm insgesamt erleichtert oder gefördert hat. Diesen Ansatz verfolgen die Staatsanwaltschaften auch in den neueren Verfahren.

Was war neu am Ansatz im Verfahren gegen John Demjanjuk?

Verurteilt wurde er im Jahr 2011 vom Landgericht München. Auch ihm wurde Beihilfe zum Mord in vielen tausend Fällen vorgeworfen worden, ohne dass man ihm nachweisen konnte, selbst an einer einzelnen Tötung beteiligt zu sein. Er war Wachmann im Vernichtungslager Sobibor.

Der Unterschied zum heutigen Prozess lag darin, dass Sobibor ein reines Vernichtungslager war. Dort hat nichts anderes stattgefunden, als dass Menschen, die dort ankamen, getötet wurden. Das spielt insbesondere dann für die Vorstellung des Beschuldigten eine Rolle.

Man muss ja nicht nur nachweisen, dass der Beschuldigte dort tätig war, sondern auch, dass er gewusst hat, was dort geschehen ist.

Der Fall dieses früheren Sanitäters liegt etwas anders, weil er ja nicht direkt beteiligt war. Sein Verteidiger sagt, er habe als Sanitäter einfach Leute versorgt, auch das Wachpersonal. Hilfe sei nie strafbar.

In jedem Fall muss man schauen, wie weit man den Kreis der Beschuldigten ziehen kann. Der Ansatz der zentralen Stelle war, jeden, der das Geschehen insgesamt gekannt hat, zunächst in den Blick zu nehmen. Es geht darum, was im Lager geschah und wer das Vernichtungsprogramm gefördert hat. Welche Handlungen und Einsätze dem Beschuldigten dann nachgewiesen werden können, muss das Gericht entscheiden. Und dann muss noch die Rechtsfrage beantwortet werden, ob das Vorliegende ausreicht, ihn schuldig zu sprechen.

Während Jahrzehnten stand die Zentralstelle im Zentrum der Aufklärung der Nazi-Verbrechen in Deutschland. Ganz entscheidend ist, dass viele Täter sterben. Verlagert sich jetzt Ihre Arbeit Richtung Forschung?

Die Justizminister der deutschen Bundesländer haben letztes Jahr unseren Ermittlungsauftrag erneuert, auch mit Blick auf die letzte Chance, hier Beschuldigte vor Gericht zu bringen. Sie haben aber gleichzeitig in den Blick genommen, dass diese Ermittlungstätigkeit irgendwann zu Ende gehen wird.

Danach soll hier die zentrale Stelle in Ludwigsburg erhalten bleiben. Wir haben ein einzigartiges Material zusammengetragen über die Tätigkeit in der Bundesrepublik. Daher soll hier ein Dokumentationszentrum – und Forschungszentrum entstehen.

Das Gespräch führte SRF-Deutschland-Korrespondent Peter Voegeli.

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