Rund 12,6 Millionen Frauen zählt das erzkonservative islamische Königreich Saudi-Arabien. Nun sind sie am Samstag erstmals bei Kommunalwahlen zugelassen. Unter den 1,6 Millionen registrierten Wählern sind nur gerade 136‘000 Frauen. Die freie Journalistin Julia Gerlach war kürzlich in dem Land, wo die Frauen noch nicht einmal ein Auto steuern dürfen.
SRF News: Wie kam es dazu, dass die Frauen in Saudi-Arabien endlich wählen dürfen?
Julia Gerlach: Das hat eine lange Vorgeschichte. 2011 versprach ihnen der mittlerweile verstorbene König Abdullah, dass sie 2015 wählen dürfen und mehr Rechte bekommen. Jetzt wird das Versprechen eingelöst.
Bedeutet das Wahlrecht, dass die saudischen Frauen nun im Aufbruch sind?
Bei Gesprächen mit Kandidatinnen letzte Woche sprachen viele zwar nicht von einem riesigen, aber von einem entscheidenden Schritt. Sie sehen sich erstmals als Bürgerinnen anerkannt. Bisher sind saudische Frauen nicht wirklich mündig, denn alle brauchen einen Vormund. Ohne schriftliche Genehmigung von Vater, Ehemann oder Bruder dürfen sie nicht verreisen. Auto fahren ist ihnen auch nicht erlaubt.
Wie läuft die Teilnahme der Frauen an den Kommunalwahlen ab?
Die Frauen konnten sich als Kandidatinnen registrieren lassen. Dann wurde geprüft, ob sie alle Bedingungen erfüllen. Vor zwei Wochen begann der Wahlkampf. Weil es islamisch als nicht korrekt gilt, Bilder von Frauen zu veröffentlichen, wurde auf entsprechende Bilder im Wahlkampf ganz verzichtet. Wegen der herrschenden Geschlechtertrennung dürfen in Saudi-Arabien an Veranstaltungen auch keine Frauen und Männer zusammenkommen.
Viele Frauen mieteten deshalb Hotelsäle oder stellten Zelte auf und übertrugen die Veranstaltungen teils per Video an die männlichen Wähler. Viele der jüngeren Frauen setzten für den Wahlkampf ausschliesslich auf die sozialen Medien wie Twitter, Facebook und Snapchat.
Wird im Land akzeptiert, dass die Frauen nun wählen dürfen?
Offensichtlich. Es gab nur sehr wenig ablehnende Stimmen. Insofern scheint die Strategie von König Abdullah von 2011 aufgegangen zu sein. Unter dem Motto: Wir machen das ganz langsam, dass es keine Proteste gibt und sich alle daran gewöhnen können.
Saudi-Arabien steht bei den Menschenrechten in der Kritik, und die männliche Vorherrschaft ist total. Diskutieren die Frauen darüber?
Das sind getrennte Themen. Da sind zum einen die Rechte der Frauen und auch die sozialen Veränderungen, die es in den letzten Jahren gegeben hat. Man sieht jetzt viele Frauen in leitenden Positionen in Supermärkten, Kaufhäusern und Büros. Zum anderen gibt es diese sehr drastische Verschlechterung der Menschenrechtslage mit über 150 Hinrichtungen bereits in diesem Jahr und weiteren Todeskandidaten.
Das ist auch eine Einschüchterungskampagne gegen die liberale Opposition, womit viele Menschen Angst haben, ihre Meinung zu sagen. Damit soll wohl verhindert werden, dass weitere Rechte und Demokratisierungsschritte eingefordert werden.
Sind die Wahlen ein Signal über Saudi-Arabien hinaus?
Davon gehe ich nicht aus. Denn das Frauenwahlrecht ist eigentlich in allen anderen Ländern inzwischen verwirklicht und Saudi-Arabien ein Nachzügler-Land. Ob das Wahlrecht ein Zeichen in Richtung mehr Demokratisierung setzen kann, muss sich erst noch zeigen. Die Gesamtlage des Landes mit der deutlichen Verschlechterung der Menschenrechtslage und der Einschränkung der Freiheitsrechte stimmt mich aber skeptisch. Es ist wohl vor allem das eingelöste Versprechen des früheren Königs.
Das Gespräch führte Walter Müller.