Journalistinnen und Journalisten werden immer häufiger Opfer in gewaltsamen Konflikten. In diesem Jahr forderte die Berichterstattung über Syrien am meisten Opfer, gefolgt von jener über Somalia, Pakistan und Mexiko. Besonders besorgniserregend ist die Ursache für die steigenden Opferzahlen. Das News Safety Institute in London und das International Press Institute IPI in Wien erheben diese Zahlen seit zwanzig Jahren.
Lokale Journalisten besonders gefährdet
Ein Bericht über ein im Syrienkrieg getötetes Baby war der letzte von «Sunday-Times»-Reporterin Marie Colvin. Kurz danach wurde sie selber umgebracht. Sie war ein Star unter den Kriegsberichterstattern. Doch die meisten der im vergangenen Jahr getöteten Journalisten sind Unbekannte. Besonders gefährdet sind oft lokale Journalisten, denn sie leisten die eigentliche Basis-Recherchearbeit an der Front.
Allein in Syrien starben 2012 fast vierzig Journalisten. Doch auch ohne diesen Extremfall werde die Situation weltweit immer schlimmer, sagt Anthony Mills vom International Press Institute IPI.
Es gibt nicht mehr Kriege
Steigende Opferzahlen liessen sich plausibel begründen, wenn es auch Jahr für Jahr mehr Kriege gäbe. Oder wenn immer mehr Journalisten darüber berichten würden. Doch beides trifft nicht zu. Die Zahl kriegerischer Konflikte nimmt weltweit leicht ab.
Und immer weniger Medien, vor allem aus den USA, können oder wollen es sich leisten, Reporter in Krisengebiete zu entsenden, sagt Rodney Pinder, langjähriger Chef des News Safety Institute. Der Grund für den tragischen Trend ist also ein anderer: Kriege werden immer seltener nach dem Prinzip eine Armee gegen eine andere Armee geführt.
«Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen sich auf eine Seite stellen. Sie gehen davon aus, dass Medienschaffende entweder gegen oder für sie schreiben», sagt Pinder.
Fanatiker am Werk
Moderne Kriege sind zumeist Bürgerkriege. Oft wird mit terroristischen Methoden operiert, ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung. Und häufig ziehen Fanatiker die Drähte. Für sie gilt das Prinzip: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. Für neutrale Beobachter und Akteure, für Journalisten und humanitäre Helfer ist in deren Weltbild kein Platz.
Das spüren auch Hilfsorganisationen. Laut IKRK-Präsident Peter Maurer bietet selbst das Rotkreuzlogo immer weniger Schutz. Es vergehe praktisch keine Woche mehr, ohne dass irgendwo IKRK-Mitarbeiter angegriffen würden.
Ärzte und Krankenschwestern werden umgebracht weil sie auch den Opfern auf der Gegenseite helfen. Journalisten werden gezielt getötet, weil sie auch die Sicht der Gegner zeigen. Dazu kommt, dass die Täter wenig riskieren.
Kultur der Straflosigkeit
Es herrsche eine Kultur der Straflosigkeit, sagt IPI-Vizechef Anthony Mills. In mindestens neun von zehn Fällen würden Journalistenmörder nie für ihre Tat belangt – auch nicht nach der Beilegung eines Konfliktes.
Zwar stellen seit kurzem Uno-Resolutionen Journalisten in Kriegsgebieten unter speziellen Schutz. Doch diese Resolutionen gelten vorläufig erst auf dem Papier. Und oft gehe die perfide Rechnung der Mörder auf, sagt Rodney Pinder vom News Safety Institute.
So werde beispielsweise über den äusserst brutalen Drogenkrieg in Mexiko kaum noch berichtet. Denn jeder Reporter müsse um sein Leben fürchten. Auch über den Syrien-Krieg, der inzwischen mindestens 60'000 Tote gefordert hat, oder über das Blutvergiessen in Somalia gibt es nur spärlich verlässliche Informationen.
So ist zwar die Welt immer vernetzter, gibt es mit Handybildern, Twitter oder sozialen Netzwerken immer neue Informationskanäle. Doch unser Weltbild bleibt lückenhaft. Auch weil das Rapportieren des Geschehens mancherorts immer gefährlicher wird. (lin;krua)