Im irakischen Parlament flogen letzte Woche die Stühle durch die Luft. Derart gross war der Aufruhr. Als Parlamentspräsident Jaburi die Sitzung auflöste, ging ein Teil der Abgeordneten zum Streik über. Einen Moment lang sah es so aus, als habe Bagdad nun zwei Parlamente.
Die rebellischen Volksvertreter erklärten den Parlamentspräsidenten kurzerhand für abgesetzt. Dass ihnen dafür das nötige Quorum fehlte, ging im allgemeinen Tumult zunächst unter.
Die Institutionen, die die Amerikaner nach ihrer Invasion den Irakern hinterlassen haben, sind bis jetzt proportional nach Volksgruppen organisiert. Der Staatspräsident zum Beispiel ist Kurde, der Premierminister Schiit, der Parlamentspräsident Sunnit.
Sunniten beklagen Ausgrenzung
Dass ausgerechnet der Parlamentspräsident jetzt ins Visier komme, sei kein Zufall, ereiferte sich ein sunnitischer Politanalytiker im Fernsehen. Unter Premier Maliki sei das so gewesen. Unter Malikis Nachfolger Abadi sei es nicht anders. Immer bezahle die sunnitische Minderheit den Preis.
Unbestritten ist, dass Maliki als Premier die konfessionellen Spannungen schürte, dass der schiitische Hardliner sunnitischen Protest gegen seinen autoritären Regierungsstil niederschiessen liess. Das hat den Aufstieg der sunnitischen Dschihadistenmiliz IS zumindest begünstigt, sagen heute viele.
Elite bedient sich am Volksvermögen
Doch diese Regierungskrise ist komplexer. Es gehe ihm nicht um die Konfessionen, beteuert Abadi. Er habe die Korruption im Visier, also jenes Übel, welches Irak im Grunde viel tiefer zerfrisst als alle Spannungen zwischen Volksgruppen.
Tatsächlich gilt der Irak als eines der korruptesten Länder überhaupt, weltweit. Die politischen Eliten, egal welcher Volksgruppe, bedienen sich am Volksvermögen. Und schamloser noch, als vor der amerikanischen Invasion.
Doch der irakische Staat ist in Geldnot. Der Zerfall des Ölpreises, die Kosten des Kriegs, die Wirtschaftskrise. All das erhöht den Reformdruck. Hat Abadi den Willen und die Kraft, das Patronagesystem zu knacken, in dem sein Vorgänger Maliki noch immer als einer der wichtigsten Strippenzieher gilt?
Politiker bangen um ihre Pfründe
Abadi will es mit einer Regierung aus Technokraten versuchen, wie er sagt, aus Ministern, die nicht mehr direkt aus dem Filz der konfessionellen Blockparteien kommen. Dreimal ist er damit angetreten. Dreimal ist er bis jetzt gescheitert. Auch ein Kompromissvorschlag kam nicht durch.
Die Eliten haben offenbar Angst, den Zugang zu den Geldtöpfen zu verlieren. Selbst die Kurden liefen Sturm. Es brauche den Proporz, damit die Minderheiten ihre legitimen Interessen in Bagdad wahren könnten, argumentierten sie.
Einflussreicher Milizenchef spricht düstere Warnung aus
Das schiitische Lager ist gespalten. Lautstarke Unterstützung erhält der Premier in den Armenvierteln Bagdads. Wo der Populist und früher berüchtigte Milizenchef Moktada Sadr seine Anhänger mobilisiert.
Auch in Bagdad gibt’s einen Tahrirplatz, dort stehen die Zelte der Sadristen. Sie kritisieren vor den Fernsehkameras die Kleptokratie der Eliten. Und verlangen, dass Abadis Reformkabinett nun vom Parlament absegnet wird. Auch westliche Politiker flogen ein, um dem angeschlagenen Premier den Rücken zu stärken. In Washington geht die Angst um, dass man Abadi als amerikafreundlichen Partner im Kampf gegen die Jihadisten von IS verlieren könnte.
Noch grösseren Einfluss auf Bagdad hat der schiitische Nachbar Iran. Wie die irakische Regierungskrise dort beurteilt wird, ist weniger durchsichtig. Moktada Sadr griff unterdessen zum Ultimatum. Wenn die Abgeordneten nicht schnell handelten, werde das irakische Volk es tun, drohte der Tribun düster.