Mit ihrem Mann sitzt Milena auf dem Sofa; Sie ist die Hauptfigur des Films «Dobra zena», auf Deutsch «Gute Frau», der am Sundance Festival uraufgeführt wurde. Im Fernsehen wird über die Kriegsverbrecher-Prozesse diskutiert. Milenas Mann regt sich auf: «Hörst du die? Soll etwa halb Serbien eingesperrt werden? So ein Mist!»
Serbische Kriegsverbrechen: Wir nicht, aber sie auch
Die Szene im Film spiegelt die Stimmungslage heute in Serbien. Gleich wie Milenas Mann wollen sich die meisten Leute nicht mehr mit den Gräueln auseinandersetzen, die in den 90er-Jahren im Namen ihrer Nation verübt wurden. Nach dem Motto: Die Kroaten und die bosnischen Muslime haben doch auch Kriegsverbrechen begangen, und das Tribunal in Den Haag bestraft nur uns.
Mirjana Karanovic, Regisseurin und Hauptdarstellerin des Films, sagt es so: «Die Leute vergessen, sie wollen vergessen, was wirklich geschah. Hier sind die Leute völlig desorientiert. Sie kümmern sich nur noch um sich selber, um irgendwie über die Runden zu kommen, eine Arbeit zu haben», sagt sie.
Milena, die «gute Frau» im Film, wird völlig überraschend von der Vergangenheit eingeholt. 20 Jahre nach dem Krieg entdeckt sie, dass ihr Mann selber ein Kriegsverbrecher ist. Sie findet eine Videokassette. Die Aufnahme zeigt, wie wehrlose Menschen erschossen werden. Milenas Mann ist einer der Täter.
Erinnerung an TV-Bilder von Ermordungen im Krieg
Die «gute Frau» erlebt als Einzelperson, was Serbien als ganzes Land vor gut zehn Jahren erlebt hat. Damals wurden im Fernsehen Aufnahmen gezeigt, die dokumentierten, wie serbische Paramilitärs der Einheit Skorpioni bosnische Zivilisten umbrachten. Als sie die Bilder damals sah, dachte Karanovic zuerst an die Frauen und Angehörigen der Opfer, was die wohl empfinden, wenn sie das sehen.
«Dann fragte ich mich, was fühlt jetzt eine Frau, die sieht, wie ihr Mann oder ihr Bruder mordet.» Diese Bilder und Gedanken seien ihr seither nicht mehr aus dem Kopf gegangen, sagt die Schauspielerin, und es beschäftigt sie, dass die Videos damals die serbische Öffentlichkeit nur für kurze Zeit wachgerüttelt haben.
Schweigen statt fragen: Wie weit geht Loyalität?
Ihr Film stellt die Frage: Kann die Loyalität zum Partner, aber auch die Loyalität zur eigenen Nation, stärker sein als das Gewissen? «Milena, die Hauptfigur meines Films, ist eine Metapher für Serbien. Sie ist ein guter Mensch, aber sie schweigt und stellt keine Fragen, da wo es wichtig gewesen wäre», sagt Karanovic.
Das gleiche gelte für so viele ihrer Landsleute. Als sie ihren Mann zur Rede stellen könnte, schlägt Milena verzweifelt auf seine Brust, aber sie sagt nichts. Wieso stellen die Leute in Serbien keine Fragen, wieso sind sie so desorientiert?
«Es läuft eine sehr starke Propaganda. Die eigenen Kriegsverbrecher werden zu Helden verklärt, so dargestellt, als ob sie ihr Volk verteidigt hätten, weil diesem Unrecht widerfuhr; als ob sie nur aus Selbstschutz Schlechtes getan hätten.» So erklärt Karanovic das serbische Unverständnis über das Haager Urteil gegen den Kriegsverbrecher Radovan Karadic und die Genugtuung über den Freispruch Vojislav Seseljs.
Milosevic wird in Staatsmedien positiv dargestellt
Zudem hätten in den Medien, die zum grössten Teil unter Kontrolle der Regierung stehen, die eigenen Opfer immer ein viel grösseres Gewicht als die anderen. «Und es wird ständig die Idee warm gehalten, dass Slobodan Milosevic – der mächtigste Kriegstreiber jener Zeit – eigentlich ein Guter war, dass ihn die bösen Leute aus dem Westen, die geheime Weltpolitik, vernichtet haben», sagt Karanovic.
Das Vergessen und Schweigen kommt der aktuellen Regierungsmannschaft rund um Premier Aleksandar Vucic sehr entgegen. Heute geben sie sich als überzeugte Europäer, in den 90er-Jahren waren sie aber bei den Kriegstreibern.
Sie wollen nicht, dass man ihnen Fragen über ihre Verantwortung stellt. Genau dazu müsste der Film «Dobra Zena» – gute Frau – aber bewegen.