Das Kopftuch erregt die Gemüter. Gerade im abendländischen Kontext gilt es vor allem als religiöses Symbol. Die Politik instrumentalisiert den Schleier als Katalysator oder Projektionsfläche für latente gesellschaftliche Konflikte. Schlagworte sind hier: schleichende Islamisierung, mangelnder Integrationswille und Unterdrückung der Frau.
Nicht nur ein Stück Stoff
Im Zentrum der Debatte steht dabei das Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst, insbesondere für Lehrerinnen. Auch wenn klar ist, dass die Schule als Hort religiös-weltanschaulicher Neutralität gilt, bleiben die rechtlichen Streitfragen komplex. Lassen sich beispielsweise Religionsfreiheit und Gleichbehandlung der Geschlechter überhaupt gegeneinander aufwiegen? Beide Ansprüche gehören zu den Grundrechten.
Ein Überblick über das Dickicht der Regelungen in verschiedenen Ländern.
Frankreich: Der Ausgangspunkt des Laizismus
Die französische Revolution hat den Weg für den Laizismus – die strikte Trennung von Staat und Religion – geebnet. Religion ist in Frankreich ausschliesslich Privatsache. Mit dem «Trennungsgesetz» von 1905 wurde der Laizismus zur offiziellen Staatsdoktrin erhoben. Ein erster Schulverweis dreier kopftuchtragender Schülerinnen im Pariser Vorort Creil entfachte 1989 den Kopftuchstreit. 15 Jahre dauerte es, bis die Politik zur Ansicht gelangte: Nicht nur Lehrkräfte, auch Schülerinnen wurden zur religiösen Abstinenz verpflichtet. Seit 2004 gilt in Frankreich das Verbot «ostentativer religiöser Symbole» an öffentlichen Schulen. Krippen und Kindergärten sind aber nicht betroffen. Doch in jüngster Zeit hat die Debatte wieder an Fahrt gewonnen. Politiker aller Lager fordern, das Verbot auch auf die Privatwirtschaft auszudehnen.
Türkei: Das Mutterland des Konflikts
Mit der Republikgründung durch Mustafa Kemal Atatürk 1923 wurde der Türkei der Laizismus nach französischem Vorbild verordnet. Damals sah man in der religiösen Erstarrung der Eliten einen der Gründe für den Untergang des Osmanischen Reichs. Mit entsprechender Vehemenz wurden Fez und Kopftücher in öffentlichen Gebäuden verboten. Die Proteste von Konservativen liessen jedoch nicht nach. Studentinnen, die gegen das Verbot klagten, wurden vom Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte mit Verweis auf die türkische Verfassung abgewiesen. Der Versuch der konservativ-islamischen Regierung unter Ministerpräsident Recep Erdogan, das Verbot an Hochschulen aufzuheben, scheiterte 2008 am türkischen Verfassungsgericht. Der Hochschulrat reagierte trotzdem: Seit 2010 werden Studentinnen bei Verstössen gegen die Kleiderordnung nicht mehr von Vorlesungen ausgeschlossen.
Deutschland: Der Flickenteppich
Der Kopftuch-Streit in Deutschland nahm 1998 seinen Anfang in Baden-Württemberg. Die angehende Lehrerin Fereshta Ludin wollte nicht auf ihre muslimische Kopfbedeckung verzichten und wurde deshalb nicht in den Schuldienst übernommen. Sie klagte und bekam Recht. Die Begründung: Es fehlte die nötige Rechtsgrundlange. Daraufhin nahm Baden-Württemberg 2004 als erstes Bundesland das Kopftuchverbot für Lehrerinnen in ein neues Schulgesetz auf. Urteile höchster Gerichte und ein Flickenteppich von «Kopftuch»-Gesetzen in acht Bundesländern folgten. Als bislang letztes Land beschloss Nordrhein-Westfalen im Mai 2006 ein Kopftuch-Verbot. Sehr weit geht die Berliner Regelung. Sie verbietet nicht nur muslimischen Lehrerinnen, sondern allen Staatsdienern demonstrativ-religiöse Symbole – nicht nur das Kopftuch, sondern auch das christliche Kreuz und die jüdische Kippa.
Russland: 20 Millionen Muslime und ein wichtiges Urteil
Gerade erst hat das oberste russische Gericht ein möglicherweise wegweisendes Urteil gefällt. Nach einer erbitterten politischen Debatte verboten die Richter das Tragen von Kopftüchern in einer Provinzschule. Im konkreten Fall hatten die Eltern von fünf Sechstklässlerinnen in der Kaukasusregion Stawropol den Rechtsweg beschritten. Ihre Töchter waren zuvor aus dem Unterricht geworfen worden, weil sie ihr Kopftuch nicht abnehmen wollten. Das Bildungsministerium hatte der Schule zunächst recht gegeben. Die Eltern akzeptierten das nicht. Das Urteil könnte richtungsweisend sein. Präsident Wladimir Putin hatte muslimische Kopftücher als «gefährlich» bezeichnet und die Wiedereinführung von Schuluniformen gefordert. In Russland leben 20 Millionen Muslime. Vor allem im Nordkaukasus, an das die Region Stawropol grenzt, bereiten radikale Islamisten dem Kreml grosse Probleme. Frauen ohne Kopftuch werden dort oft tätlich angegriffen.
Niederlande: Kopftuch wird toleriert
Jede Religionsgemeinschaft und jede Minderheit hat in den Niederlanden ihre eigenen Schulen und eigene soziale Einrichtungen. Aber auch an den staatlichen Schulen ist man bisher den Religionen gegenüber tolerant geblieben und lässt Lehrerinnen mit Kopftüchern unterrichten. Dieses Prinzip ist jedoch nicht erst seit dem Mord am islamkritischen Regisseur Theo van Gogh umstritten. Ein Urteil von 2011 erlaubt beispielsweise einer privaten katholischen Schule ein Kopftuchverbot für Schülerinnen.
Grossbritannien: Koloniales Multikulti
Pragmatismus ist das Leitmotiv der Briten in Religionsfragen. Da das Vereinigte Königreich eine lange Tradition im Umgang mit Migranten aus Commonwealth-Staaten hat, ist die Gesellschaft sehr multikulturell geprägt. Die Sikhs erreichten vor den Muslimen, dass das Tragen von Turbanen für Lehrkräfte geduldet wird. Daher wurde auch den Muslimen keine Kleidung verboten. Bei Schülern gilt allgemein die Pflicht zur Schuluniform. Die verschärfte Gangart in der Innenpolitik gegenüber islamistischen Bestrebungen wirkt sich vorerst nicht auf die Kopftuchpolitik aus.
Österreich: Islam als anerkannte Religion
Auch Österreich profitiert von seiner multikulturellen Vergangenheit: Die Annexion Bosnien-Herzegowinas im Jahr 1908 bescherte dem Reich muslimische Untertanen. Deren freie Religionsausübung wurde daraufhin durch ein Islamgesetz geregelt. Dieses Gesetz wurde in den sechziger Jahren wieder ausgegraben, als Arbeitskräfte aus der Türkei nach einer religiösen Organisationsform suchten. Seit 1979 ist die «Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich» Körperschaft des öffentlichen Rechts. Muslimischen Frauen die Kopftücher zu verbieten, würde als Diskriminierung gelten. So konnte Österreich zum Exilland für türkische Kopftuch-Studentinnen und eine deutsche Kopftuch-Lehrerin werden.
Iran: Der Kopftuchzwang
Das pure Gegenteil findet sich in der Islamischen Republik Iran. Hier gilt ein allgemeines Gebot, das Kopftuch in der Öffentlichkeit zu tragen. Es gilt ebenfalls für Ausländerinnen. Lediglich auf privaten, von aussen nicht einsehbaren Geländen und in Wohnungen darf das Kopftuch entfernt werden. Verstösse gegen dieses Gebot werden juristisch verfolgt. Viele junge Frauen, insbesondere in Teheran und anderen grossen Städten, testen, wie weit sie einen Teil ihrer Haare zeigen können.