Die Verhandlungspartner – allen voran die beiden Aussenminister der USA und Irans – haben sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Bis Sonntag soll der Atomstreit mit Iran gelöst sein. Die Differenzen zwischen dem Westen und Iran sind immer noch gross und aus Wien kommen immer unterschiedliche Signale. Dies sei ein gutes Zeichen, sagt der diplomatische Korrespondent bei SRF, Fredy Gsteiger, zu SRF News Online.
SRF: Die Zeit drängt – bis Sonntag sollte der Atomstreit mit Iran beendet sein. Nun signalisieren die beiden Aussenminister der USA und Irans, dass sie eine Verlängerung der Gespräche begrüssen würden. Ist das realistisch?
Fredy Gsteiger: Dass der Atomstreit tatsächlich bis Sonntag mit einem dauerhaften Abkommen beendet wird, ist inzwischen unwahrscheinlich. Ganz ausgeschlossen ist es aber nicht, weil die beiden Hauptakteure im Streit, die USA und Iran, eigentlich ein Interesse an einer raschen Lösung haben. Aber sobald es konkret wird, sind die Differenzen offenkundig noch gross. Wohl zu gross, als dass sie bis Sonntag überwunden werden könnten.
Iran zeigte zuletzt Flexibilität und ist offenbar bereit, sein Atomprogramm einzufrieren. Ist das glaubhaft?
Ein völliges Einfrieren des Atomprogramms ist unrealistisch. Iran wird allenfalls seine heiklen nuklearen Aktivitäten, etwa die Urananreicherung, begrenzen. Völlig stoppen wird es sie auf keinen Fall. Die Frage ist nun: Auf welchem Niveau würde Iran das Atomprogramm stoppen? Oder anders ausgedrückt: Wie viele und wie leistungsfähige Zentrifugen wird Teheran weiter laufen lassen?
So viele, dass es nach einem entsprechenden politischen Entscheid innerhalb von Wochen oder Monaten eine Bombe bauen kann? Oder so viele, dass es bis zum Bau einer funktionsfähigen Bombe noch ein Jahr oder länger dauert? Das ist für die internationale Gemeinschaft die entscheidende Frage. Denn dass der Iran früher oder später eine Atombombe bauen kann, wenn die Führung das beschliesst, ist ohnehin nicht mehr zu verhindern.
Der iranische Aussenminister sieht sich einem grossen innenpolitischen Druck gegenüber. Konservative Kräfte wie zum Beispiel der Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei bezeichneten das Atomprogramm als «nationale Notwendigkeit» und fordern gar einen Ausbau des Atomprogramms. Scheitern die Verhandlungen gar an den iranischen innenpolitischen Querelen?
Das kann durchaus sein. Es ist sicher so, dass Irans neuer Präsident Hassan Rohani und sein Aussenminister eine Lösung wollen. Aber es gibt in Teheran äusserst mächtige Kreise, die eine Lösung des Atomstreits ablehnen. Und zwar weil sie ganz grundsätzlich keine Normalisierung der Beziehungen ihres Landes zum Westen und besonders zu den USA wollen.
Die Frage ist nun: Auf welchem Niveau würde Iran das Atomprogramm stoppen?
Ein Teil der innenpolitischen Legitimität des undemokratischen Regimes in Teheran beruht auf der Feindseligkeit zu vielen Ländern, auf der selbstgewählten Rolle als Aussenseiter. Und sehr viele einflussreiche Leute im Iran profitieren finanziell massiv von den Sanktionen. Denn sie sind es, welche die wegen der Boykotte nötigen Umgehungsgeschäfte kontrollieren und sich dieses Geschäft vergolden lassen.
Auch John Kerry steht in Washington unter Druck. Einflussreiche Kongress-Mitglieder drohen mit neuen Sanktionen, wenn es nicht bis Sonntag ein Ergebnis gibt. Welche Auswirkungen haben solche Drohungen auf die die Verhandlungen in Wien?
Sie führen dazu, dass die Regierung Obama eine rasche Lösung anstrebt. Denn je länger verhandelt werden muss, umso mehr können die Hardliner in Washington Stimmung machen gegen eine Vereinbarung mit dem Iran.
Ein Teil der innenpolitischen Legitimität des undemokratischen Regimes in Teheran beruht auf der Feindseligkeit zu vielen Ländern.
Dazu kommt: Im Herbst sind in den USA Kongresswahlen. Wenn da die Republikaner zulegen, womöglich gar die Mehrheit im Senat erobern, wird es für Obama fast unmöglich, Beschlüsse durchzusetzen, um die amerikanischen Iran-Sanktionen zu lockern oder ganz abzuschaffen.
Die Lage bei den Verhandlungen ist offenbar recht verwirrend. So berichten unterschiedliche Medien gleichzeitig von «greifbaren Fortschritten» (Süddeutsche Zeitung) und andere wieder von stockenden Verhandlungen (Tages-Anzeiger). Warum ist das so, oder ist das gar Ziel der Diplomaten, um nicht viel über den Stand der Dinge zu verraten?
In den letzten Tagen erfährt man nur sehr wenig darüber, wie die Verhandlungen wirklich laufen. Die Beteiligten, also jene, die wirklich etwas wissen, halten erstaunlich gut dicht. Das ist ein positives Zeichen, denn erfolgreiche Verhandlungen brauchen Vertraulichkeit. Richtig ist: Man kommt wohl voran, aber äusserst langsam. Denn die Stolpersteine sind zahlreich, und vor allem der Iran gibt nur millimeterweise Terrain preis. Entsprechend zäh laufen die Verhandlungen und stocken zwischendurch immer wieder. Aber nun drängt die Zeit.
US-Parlamentarier wollen bei den Verhandlungen in Wien auch das ballistische Raketenprogramm Teherans, die Lage der Menschenrechte im Iran und die mögliche Verwicklung Teherans in Terroraktivitäten zur Diskussion stellen. Ist diese Forderung realistisch und welchen Einfluss hätte dies auf das Hauptziel – die Beilegung des Atomstreits?
Wer derart viel fordert, will im Grunde eine Lösung des Atomstreits verhindern. Denn es ist völlig realitätsfremd anzunehmen, dass all diese Fragen in einem Aufwasch geklärt werden könnten. Vernünftiger und realistischer ist es, den umgekehrten Weg zu gehen. Zuerst mal eine Lösung des Atomstreits erreichen, denn der ist der Dreh- und Angelpunkt des Konflikts mit dem Iran.
Erfolgreiche Verhandlungen brauchen Vertraulichkeit.
Anschliessend, falls es gelingt, dieses Kernproblem beiseite zu räumen, kann man versuchen, die anderen Themen angehen. Allerdings mit begrenzten Erwartungen: Die Aussenwelt hat nur geringe Einflussmöglichkeiten darauf, ob das iranische Regime nun eine Demokratisierung des Landes akzeptiert oder die Menschenrechte achtet.
Wie stark schwingt bei den Verhandlungen die These mit, dass die USA eigentlich ein Regimewechsel im Iran fordern?
In der Führungsriege in Teheran ist diese These weit verbreitet. Manche hegen diese Befürchtung ernsthaft, andere nützen sie als Vorwand, um keinerlei Zugeständnisse zu machen. In den USA selber hingegen dürften immer weniger Politiker daran glauben, dass es möglich ist, von aussen aus Washington einen Regimewechsel im Iran zu erzwingen. Obama selber glaubt bestimmt nicht daran. Wenn die USA tatsächlich überall dort Regime absetzen könnten, wo sie es gern täten, wäre so mancher Potentat wohl nicht mehr im Amt. Aber die Einflussmöglichkeiten sind begrenzt. Es wird immer offensichtlicher: Es sind letztlich die Bürger eines Landes selber, die einen Regimewechsel erzwingen müssen, wenn sie das denn wollen.
Welche Rolle spielt bei den Verhandlungen Israel?
Im Moment keine sonderlich grosse. Die israelische Regierung misstraut zwar einer Einigung mit Iran zutiefst. Genauso übrigens wie auch die saudische. Aber für die USA und die übrigen Mitglieder der 5+1-Gruppe, also Grossbritannien, Frankreich, Russland, China und Deutschland, ist eine Einigung mit Iran so sehr erstrebenswert, dass sie israelische und andere Einwände ignorieren.
Wer derart viel fordert, will im Grunde eine Lösung des Atomstreits verhindern.
Israel droht zwar immer mal wieder, notfalls selber mit einem Militärschlag Irans Atomanlagen zu zerstören. Aber es wird dies kaum ohne verbale oder gar militärische Unterstützung der USA tun.