Ein toter Palästinenser und mehrere hundert Verletzte melden palästinensische Mediziner nach einer Nacht der Gewalt in Ostjerusalem und in der israelisch besetzten Westbank.
Die israelische Armee antwortete mit Gummischrot aber offensichtlich auch mit scharfer Munition auf Molotowcocktails und fliegende Steine. Am Donnerstag waren zwei jüdische Siedler in der Westbank von einem Palästinenser erschossen worden, am Samstag wurden zwei ultraorthodoxe Juden in der Altstadt von Jerusalem erstochen.
Israel gibt Abbas die Schuld
Ofir Gendelmann, der Sprecher der israelischen Regierung für die arabischen Medien, gab die Schuld Palästinenserpräsident Abbas. Er sei verantwortlich für die Eskalation der Gewalt.
Geschürt hat die jüngsten Spannungen ein Streit um den Zugang zum Tempelberg in Jerusalem mit der Al Aksa Moschee. Ein jahrzehntealtes Abkommen sieht vor, dass in diesem sogenannten Haram al Sharif nur Muslime beten sollen. Radikale jüdische Aktivisten aus der Siedlerbewegung versuchen neuerdings aber, dieses Abkommen zu unterlaufen.
Sie haben Unterstützung im rechten Lager der israelischen Politik. Premierminister Netanjahu selbst betont allerdings, seine Regierung wolle nichts an der bisherigen Gebetspraxis am Tempelberg ändern, obwohl sie die Juden benachteilige.
Angriffe jüdischer Siedler auf Palästinenser nehmen zu
Viele Palästinenser misstrauen ihm. Palästinenserpräsident Abbas erklärte letzte Woche vor der UNO in New York, seine Führung sehe sich nicht mehr automatisch an die Abkommen mit Israel gebunden. Die Geduld der Palästinenser sei am Ende.
Amin Maqbul, ein Spitzenmitglied der Palästinenserbewegung Fatah betonte, auch die Gewalt, die von militanten Siedlern ausgehe, habe stark zugenommen. Auch israelische Menschenrechtsorganisationen zeigten in den letzten Tagen Bilder von Siedleraktivisten, die palästinensische Bauern angriffen und deren Olivenhaine in Brand steckten.
Die palästinensische Wut in den besetzten Gebieten ist greifbar. Die Wut auf radikale jüdische Siedler, die sich immer mehr von der Westbank zu eigen machten, obwohl ansässige Palästinenser und palästinensische Flüchtlinge aus Israel dort ihren eigenen Staat errichten möchten.
Politischer Dialog weit weg
Religiöse Siedler und nationalreligiöse Politiker in Netanjahus Regierung aber bezeichnen das Gebiet als biblisches Land, dass Gott allein den Juden gegeben habe.
Die radikalen Stimmen haben in der israelischen Politik an Einfluss gewonnen, die Aussicht auf politischen Dialog ist in weite Ferne gerückt. Premierminister Netanjahu dagegen sprach gestern Abend von palästinensischem Terrorismus. Israel werde diesen bis zum Tod bekämpfen, sagte der Premier wörtlich.
Er kündigte Gegenmassnahmen an und schickte militärische Verstärkung in die Westbank. Zusätzliche Checkpoints filtern den Verkehr im besetzten Gebiet. Manche Strassen wurden geschlossen. Auch kündigte Netanjahu an, dass noch konsequenter als bisher die Häuser von palästinensischen Terroristen zerstört würden.
Diese Praxis soll der Abschreckung dienen, sie ist hochumstritten, denn sie trifft nicht nur die Täter sondern ihre gesamten Familien.
Steht dritte Intifada vor der Tür?
Ein Minister aus Netanjahus Koalitionsregierung forderte, Israel müsse die Besiedlung des besetzten Palästinensergebiets nun beschleunigen und Teile der Westbank gleich ganz annektieren.
Heute Abend will der Premierminister erneut das Sicherheitskabinett einberufen. Um über weitere Massnahmen zu beschliessen. Die israelische Zeitung Jediod Ahronot titelte übers Wochenende bereits, die dritte Intifada sei gekommen.
Über einen solchen neuen Palästinenseraufstand nach den Aufständen in den Achtzigerjahren und um die Jahrtausendwende ist immer wieder spekuliert worden.
Der israelische Geheimdienst wies diese Aussicht gestern noch zurück. Doch manche Beobachter glauben inzwischen, die Serie von Anschlägen und anderen Gewaltaktionen könne sich tatsächlich zur neuen Intifada verdichten – wenn Politiker auf beiden Seiten nicht zur Mässigung aufrufen.