Vor wenigen Tagen hat der Syrien-Rückkehrer Harry S. in einem Interview mit Radio Bremen beteuert, dass er schnell bereut habe, zur Terrormiliz IS gegangen zu sein: «Wir haben gemerkt, dass das alles nur Schwachsinn ist.» Es sei kein göttlicher Weg oder ein Weg, der ins Paradies führe, wenn Menschen erschossen würden.
Nun steht Harry S. in Hamburg vor Gericht. Ihm wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. SRF-Korrespondent Peter Voegeli über die Hintergründe des Falls.
SRF News: Welche Wellen wirft der Prozess gegen Harry S. in Deutschland?
Peter Voegeli: Es ist nicht der erste derartige Prozess, es läuft eine ganze Reihe ähnlicher Prozesse in Deutschland. Dschihadisten und mögliche Terroranschläge sind hier ein grosses Thema. Der Verfassungsschutz geht von 8600 radikalen Salafisten im Land aus, 800 Extremisten sind nach Syrien gegangen, 260 von ihnen sind wieder zurückgekehrt. Von letzteren haben etwa 70 Kampferfahrung. Einigen traut man durchaus einen Terroranschlag zu. Der Verfassungsschutz beobachtet denn auch insgesamt rund 1000 islamistische Extremisten in Deutschland.
Was weiss man über den Angeklagten Harry S.?
Er ist der zweite Dschihad-Rückkehrer, der sich vor einer Kamera geäussert hat. Das macht ihn für die Öffentlichkeit interessant. Harry S. ist 27-jährig, seine Mutter stammt aus Ghana, aufgewachsen ist er in Bremen. Er war als Junge ein begabter Fussballer und bekannte sich schon früh zum Islam. Er beging mehrere kleinere Delikte, kam ins Gefängnis und wurde dort radikalisiert. Später reiste er nach Syrien und liess sich von der Terrormiliz «Islamischer Staat» zum Kämpfer ausbilden. Von einem Blutbad, das er als Zeuge und Videostatist miterlebte, war er nach eigenen Angaben entsetzt und kehrte daraufhin nach Deutschland zurück. Besondere Aufmerksamkeit in Deutschland erregt die Tatsache, dass er vom IS gefragt wurde, ob er bereit sei, in Deutschland einen Anschlag zu verüben.
Die Syrien-Rückkehrer erhalten in der Regel drei bis vier Jahre Gefängnis.
In Deutschland sind bereits mehrere Dschihad-Rückkehrer von einem Gericht verurteilt worden. Wie hart geht man gegen Personen wie Harry S. juristisch vor?
Vor Gericht muss jemandem eine konkrete Tat nachgewiesen werden, damit es zu einer Verurteilung kommt. Meist ist das in diesen Fällen schwierig. Allerdings kann in Deutschland allein die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wie dem IS mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren bestraft werden. In der Regel erhalten die Rückkehrer aus Syrien drei bis vier Jahre Gefängnis, wenn man ihnen keine weitere konkrete Straftat nachweisen kann. Nach etwa zweieinhalb Jahren sind sie dann wieder draussen. In diesem Zusammenhang interessant ist ein neues Urteil gegen einen 94-jährigen ehemaligen KZ-Aufseher: Er hatte sich in Auschwitz nicht direkt am Morden beteiligt, arbeitete dort aber zweieinhalb Jahre als Wachmann. Trotzdem wurde er kürzlich wegen Beihilfe zum Mord in 170'000 Fällen verurteilt. Spannend wird nun sein, ob dieses Urteil Auswirkungen auf die Syrien-Rückkehrer hat und man ihnen künftig nicht eine konkrete Tat nachweisen muss, um sie härter zu bestrafen.
Setzt man in Deutschland bei den Dschihad-Rückkehrern also vor allem auf strafrechtliche Massnahmen?
Nicht nur. Man setzt hier auf eine Vielzahl an Massnahmen, darunter auch soziale. So wird vor allem versucht, das soziale Umfeld wie Freunde und Familie zu mobilisieren, um die Leute aus Syrien zurückzuholen. In Deutschland versucht man sie sodann durch die Familie zu stabilisieren. Es gibt zahlreiche Organisationen, welche auf diesem Gebiet tätig sind. Insgesamt setzt man vor allem auf Erfahrungen, die man mit Aussteigern aus der Neonazi-Szene gemacht hat.
Der IS greift die deutschen Salafisten-Prediger an, weil diese eigentlich Gewalt ablehnen.
In Deutschland gibt es immer mehr radikalisierte Muslime, die Sorge über mögliche dschihadistisch-motivierte Terroranschläge wie in Paris oder Brüssel nimmt zu. Warum blieb Deutschland davon bisher verschont?
Teilweise war es Glück, teilweise sind es auch Fahndungserfolge der Behörden. Daneben gibt es spezifische Merkmale: Die deutschen Salafisten liegen mit dem IS eigentlich über Kreuz – der IS greift die deutschen Salafisten-Prediger an, weil diese eigentlich Gewalt ablehnen. Ausserdem weiss man, dass der IS Schwierigkeiten hat, in Deutschland Anhänger zu rekrutieren, die zuhause Anschläge verüben. Viele der deutschen IS-Kämpfer wollen zwar auf heiligem in Syrien gegen das Böse kämpfen, diese Gewalt aber nicht in ihre Heimat tragen. Ausserdem heisst es immer wieder, Deutschland sei ein Ruheraum für Dschihadisten. Deshalb verhielten sich diese ruhig und versuchten, die Behörden möglichst nicht auf sich aufmerksam zu machen. Trotzdem rechnen die Behörden in Deutschland mit Anschlägen. Und nicht zu vergessen: Es hat bereits Anschläge gegeben: 2011 wurden am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten von einem Attentäter ermordet, zwei weitere wurden verletzt, und im vergangenen November attackierte eine 15-jährige IS-Anhängerin in Hannover einen Bundespolizisten mit einem Messer.
Das Interview führten Salvador Atasoy und Susanne Stöckl.