Bepackt mit dem Nötigsten brechen sie auf, entfliehen dem Bürgerkrieg in ihrem Heimatland. Das Ziel der syrischen Flüchtlinge: ein besseres Leben – ohne Gewalt. Viele suchen dieses Ziel in den Nachbarländern. Besonders im westlich von Syrien gelegenen Libanon.
Laut dem UNO Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) sind seit dem Ausbruch des Konflikts vor zweieinhalb Jahren fast 600'000 Syrer über die Landesgrenzen in den Libanon geströmt. Ein Abflachen der Flüchtlingswelle ist nicht in Sicht – ebenso ein Ende des Kriegs.
Libanon ist für viele die letzte Chance. Das Land macht es syrischen Fliehenden relativ einfach. Die Grenzen sind offen. Das ist bei anderen Nachbarländern nicht immer der Fall. Und für die Einreise reicht syrischen Bürgern eine Identitätskarte.
Im Libanon quetschen sich zahlreiche Menschen in kleine Wohnungen, um bei der Miete zu sparen. Andere schlafen unter Brücken, in leerstehenden Gefängnissen oder auf Baustellen. An rund 1200 Orten kommen die Geflohenen unter. Zentrale Flüchtlingslager wollte die Regierung bisher nicht einrichten.
Beirut wollte keine Flüchtlingslager
Das habe vor allem zwei Gründe, sagt Bente Scheller gegenüber SRF. Sie leitet im Libanon das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung, einer parteinahen Stiftung der deutschen Partei Bündnis 90/Die Grünen.
Der erste Grund sei politischer Natur, sagt Scheller: «Teile der Regierung wollten nicht anerkennen, dass es einen Konflikt in Syrien gibt.» Deren Argumentation ging etwa so: «Wenn wir Flüchtlinge anerkennen, akzeptieren wir auch, dass es einen veritablen Konflikt in Syrien gibt.»
Der zweite Grund sind eigene Erfahrungen, die der Libanon gesammelt hat. Das Land hat für palästinensische Flüchtlinge Lager eingerichtet. Und diese bestehen auch noch Jahrzehnte später. Scheller sagt: «Dort hat sich eine eigene Dynamik entwickelt. Es ist ein Staat im Staat.» Und dieses Risiko hatte die libanesische Regierung nicht eingehen wollen.
Regierung wechselt Position
Doch Beirut überdenkt nun seine Position. Das ist gut für die Flüchtlinge. Denn es mangelt an vielem: sauberem Wasser, medizinischer Versorgung und Nahrungsmitteln. Hilfe ist dringend nötig.
Doch die Regierung in Beirut hat Angst, dass den Syrern zu viel geholfen wird. Scheller sagt: «Wenn zu viele ausländische Hilfsorganisationen mit einem Flüchtlingsmandat kommen, könnten libanesische Bedürfnisse vernachlässigt werden.»
Besonders im Norden des Landes, in der Region um Tripoli, sind die Menschen arm. Was passiert, wenn Flüchtlinge besser gestellt werden als einige Libanesen? Dann könnte es mit der Toleranz bald vorbei sein.
Zurzeit leben zusätzlich zu den knapp 600‘000 syrischen Flüchtlingen noch rund 500‘000 Migranten im Libanon, die Syrien vor dem Ausbruch des Konflikt verlassen hatten. Insgesamt sind also über eine Million Syrer im Libanon. Die Zahl wird noch beachtlicher, wenn man sie ins Verhältnis zu den 4,3 Millionen Einwohnern setzt. Ein Viertel der im Libanon lebenden Menschen sind Syrer.
Libanon – ein Pulverfass
Das kann Spannungen schüren. Doch: «Man kann vor den Libanesen und der Regierung nur den Hut ziehen, wie sie das managen», sagt Schelller. Doch sie warnt: Der Libanon sei ein Pulverfass. Es müsse dringend mehr Hilfe geleistet und ein strategisches Herangehen an das Problem gefunden werden.
Bis es soweit ist, werden täglich viele weitere Syrer ihrer Heimat den Rücken kehren. Das UNHCR schätzt allein die Zahl der syrischen Flüchtlinge im Libanon Ende Jahr auf eine Million. Und die UNO ist für ihre vorsichtigen Schätzungen bekannt.