SRF News: Wie stark sind die syrischen Kurden im Moment im Syrienkonflikt?
Thomas Seibert: Die syrischen Kurden kann man ohne weiteres als Gewinner im syrischen Bürgerkrieg bezeichnen. Die Kurden machen etwa zehn Prozent der rund 20 Millionen Menschen in Syrien aus. Sie haben es im Laufe des Konfliktes geschafft, sich einen eigenen Machtbereich zu sichern. Das Gebiet reicht vom Osten an der irakischen Grenze bis in den Westen zum Euphrat. Nach fünf Jahren Bürgerkrieg haben sich die Kurden gut behauptet.
Profitieren die syrischen Kurden auch vom russischen Engagement in Syrien?
Zumindest indirekt. Das russische Engagement richtet sich ja gegen Rebellen, die gegen Präsident Assad kämpfen. Einige dieser Rebellengruppen sind mit der Türkei liiert. Die Türkei hätte eigentlich gerne, dass diese Gruppen auch Druck auf die Kurden machen. Dieser Druck fällt dadurch weg, dass Russland diese Rebellengruppen angreift. Insofern kann man sagen, dass sie indirekt vom russischen Engagement profitieren.
Russland besteht darauf, dass die syrischen Kurden an den Friedensverhandlungen zu Syrien teilnehmen. Nun eröffnen die syrischen Kurden in Moskau eine Vertretung. Wie eng ist die Beziehung zwischen Russen und Kurden?
Die ist nicht besonders eng. Sie ist vor allem taktischer Natur. Denn beide haben mit der Türkei den gleichen Kontrahenten im Syrienkonflikt. Die Türken haben die syrischen Kurden in Verdacht, einen eigenen Staat gründen zu wollen und wollen sie deshalb auf Armeslänge halten. Umgekehrt können die Russen neben Assad einen weiteren guten Verbündeten in Syrien sehr gut gebrauchen. Insofern verbinden sich da die Interessen. Aber viel miteinander zu tun hatten die beiden Seiten vorher nicht.
Die syrischen Kurden werden auch von den USA unterstützt. Nun erfolgt diese Annäherung an Russland. Was bringt ihnen das? Eine Stärkung im Machtkampf mit der Türkei?
Genau. Das stärkt vor allem die Position der syrischen Kurden als Akteur im Syrienkrieg. Die Türken befürchten, dass die syrischen Kurden die Ausrufung eines eigenen Staates entlang der türkischen Grenze als Kriegsziel haben. Das will Ankara unter allen Umständen verhindern.
Washington setzt sich über die Kritik der Türkei einfach hinweg.
Wie eng sind die Beziehungen zwischen den Kurden in der Türkei und den Kurden in Syrien? Unterstützen sie sich gegenseitig mit Waffen oder Kämpfern?
Da bestehen ganz enge Verbindungen. Im Grunde genommen ist die syrische Kurdenpartei PYD ein Ableger der PKK. Beide gehören einem kurdischen Dachverband an, der von der PKK geführt wird. Genau dieser Punkt macht die Türken auch so nervös. Es verärgert sie, wenn sie sehen, dass die USA diese syrischen Kurden unterstützen. Erdogan sagt, dass die USA damit Terroristen unterstützen würden, während die USA sagen, dass es ihnen vor allem um den Kampf gegen den «Islamischen Staat» gehe. Hier sehen sie die Kurden als einen wichtigen Verbündeten. Washington setzt sich in diesem Punkt über die Kritik der Türkei einfach hinweg.
Wie berechtigt ist die Furcht der Türkei vor einem autonomen Kurdengebiet?
Diese Vision treibt die Politiker in Ankara schon seit geraumer Zeit um. Besonders seit dem vergangen Herbst, als die PKK auf der türkischen Seite der Grenze damit begann, so genannte Autonomiegebiete auszurufen – nach dem Vorbild dessen, was die syrischen Kurden gemacht haben. Für die Politiker und Militärs in Ankara zeigt diese Entwicklung, dass das Misstrauen gegenüber den Kurden – auch den syrischen – durchaus berechtigt ist.
Wie gross ist die Gefahr, dass die Türkei auch in Syrien gegen die Kurden vorgeht?
Diese Gefahr besteht durchaus. Die syrischen Kurden stehen am Ostufer des Euphrat. Ankara sagt, wenn die syrischen Kurden über den Fluss übersetzen und nach Westen vorstossen, sei das ein Kriegsgrund. Dann will Ankara auch Truppen nach Syrien schicken. Im Moment sagen die syrischen Kurden, sie würden dies nicht beabsichtigen – jedenfalls nicht ohne amerikanische Unterstützung. Aber dieses Risiko einer türkischen Intervention besteht durchaus.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.