Kaum ein Land auf der Welt hat in der Vergangenheit derart verschwenderisch gehaushaltet wie Saudi-Arabien. Kein Wunder – das Land ist nach wie vor der grösste Ölexporteur der Welt, 90 Prozent des Staatshaushalts wurden in der Vergangenheit so finanziert.
Damit ist vorläufig Schluss. Weil der Ölpreis drastisch gesunken ist, erwartet das Königshaus ein Milliardendefizit und hat drastische Sparmassnahmen angekündigt. Im Zentrum steht der Abbau von Subventionen etwa auf Strom, Wasser und Treibstoff. Ausserdem soll die Wirtschaft reformiert werden. «Unsere Wirtschaft hat die Fähigkeit, die Herausforderungen zu meistern!» sagte König Salman gestern. Ein Gespräch mit Toby Matthiesen.
SRF News: Welche Fähigkeiten meint König Salman?
Toby Matthiesen: Das frage ich mich auch. Es gab über die letzten Jahrzehnte etliche Versuche von Saudi-Arabien auf andere Wirtschaftszweige zu setzen: etwa in der Schwerindustrie oder im Bergbau. Es gab den Versuch, Landwirtschaft in die Wüste zu bringen und dann alles mit Grundwasser zu bewässern.
In den 70-er Jahren hatte man sogar mal die Idee, einen riesigen Eisberg aus der Antarktis ins Land zu schleppen, in der Hoffnung, so das Klima zu verändern.
In den 70-er Jahren hatte man sogar mal die Idee, einen riesigen Eisberg aus der Antarktis ins Land zu schleppen, in der Hoffnung, so das Klima zu verändern.
Aber im Gegensatz zu Dubai oder einigen der kleineren Golfstaaten, hat es Saudi-Arabien nie geschafft, sich als Wirtschaftszentrum zu etablieren. Ein Grund ist sicher, dass Saudi-Arabien eine grosse Bevölkerung hat. Ein anderer, dass die Bürokratie so stark aufgebläht ist, so dass der ganze Staatskoloss sehr schwerfällig ist.
Das Modell von Dubai, wo es einen CEO gibt, der von oben alles befiehlt, ist in Saudi-Arabien schwer möglich. Obwohl der neue König und sein Sohn versuchen, auf genau dieses Dubai-Modell umzustellen. Aber es wird schwierig sein. Es gibt enorme Interessenskonflikte. Es gibt Millionen von Leuten, die direkt vom Staat abhängig sind.
Man spricht auch von möglichen Privatisierungen. Was soll denn privatisiert werden?
Das weiss ich auch nicht. Bisher wurde bis auf die Subventionskürzungen nichts Detailliertes angekündigt. Der Staat spielt eine sehr wichtige Rolle in der Wirtschaft. Er kontrolliert die wichtigsten Unternehmen zu der auch die Ölindustrie gehört. Es gäbe alle möglichen Privatisierungsmöglichkeiten.
Ein Riesenproblem ist, dass seit Beginn des arabischen Frühlings der Staatshaushalt noch viel mehr aufgeblasen wurde, als er vorher schon war.
Die neuen Herrscher haben auch etliche Studien in Auftrag gegeben bei Beratungsunternehmen, die eine neoliberale Reform der Wirtschaft erzwingen wollen. Aber ein Riesenproblem ist, dass seit Beginn des arabischen Frühlings der Staatshaushalt noch viel mehr aufgeblasen wurde, als er vorher schon war.
Es wurden hunderttausende von Leuten angestellt, gerade im Innenministerium. Der ganze Sicherheitsapparat wurde auch ausgebaut. Und es wurden an alle Bürger mehrere Tausend Dollar verteilt. Die Staatsangestellten bekamen enorme Gehaltserhöhungen.
Es ist über die letzten Jahre genau das Gegenteil von dem passiert, was hätte passieren sollen und was jetzt angekündigt wird. Und deswegen wird es jetzt noch schwieriger werden, den Staat und die Wirtschaft zu reformieren, als es vor vielleicht fünf Jahren noch der Fall gewesen wäre.
Bereits heute soll es Preiserhöhungen geben, etwa für Treibstoff. Auch neue Steuern sind geplant. Sind alle Bevölkerungsgruppen von diesen Massnahmen gleich betroffen?
Es gibt quasi keine Einkommenssteuer. Deswegen treffen die neusten Massnahmen eher die ärmere Bevölkerung und die grossen Unternehmen, die eben auch von diesen Benzinsubventionen profitiert haben. Aber der Preis für Öl ist auch nach dieser Steigerung um 40 Prozent immer noch extrem billig. Ich denke, was jetzt angekündigt wurde, ist noch nicht genug.
Wenn nun die Subventionen für das Volk gestrichen werden: Ist damit auch das grundsätzliche Modell von Saudi-Arabien in Gefahr?
Saudi-Arabien und andere ölproduzierende Staaten der Region haben einen Sozialvertrag, in dem mehr oder weniger steht, dass die Herrscher machen können, was sie wollen. Dafür wurden der Bevölkerung soziale Leistungen geboten. Es sieht schon danach aus, als müsste dies nun hinterfragt werden müsste.
Es besteht die Gefahr, dass ideologische Gruppierungen noch mehr Aufschwung bekommen.
Drohen denn aus Ihrer Sicht auch gesellschaftliche Unruhen?
Ich denke nicht als direkte Reaktion auf diese Entscheide. Aber Saudi-Arabien lebt in einer extrem gefährlichen Gegend. Der islamische Staat ist im eigenen Land sehr populär. Es besteht die Gefahr, dass ideologische Gruppierungen noch mehr Aufschwung bekommen.
Das Haushaltsdefizit soll sich in diesem Jahr auf 90 Milliarden Euro belaufen, hauptsächlich wegen des tiefen Ölpreises. Aber auch militärisch sind die Saudis sehr verschwenderisch mit ihren Ausgaben. Sind hier auch Einsparungen vorgesehen?
Bisher wurde noch nichts bekannt. Die Militärausgaben waren in den letzten Jahren so hoch wie nie zuvor. Das betrifft alle Golfstaaten. Der Krieg in Jemen, den der neue König Anfang des Jahres angefangen hat, ist extrem teuer. Gegen das ärmste arabische Land werden die teuersten Waffen eingesetzt. Und bis jetzt ist keine Lösung in Sicht. Das frisst täglich enorme Ressourcen.
Dafür hat das Land weiterhin Geld?
Ja, und eben auch für den aufwendigen Lebensstil der Elite. Ich denke, dass sich die Bevölkerung längerfristig da mal Gedanken machen wird: Wie können wir uns all diese Sachen leisten, aber Sachen, die der ärmeren Bevölkerung zugute kommen würden, nicht.
Das Interview führte Samuel Wyss.