Timoschenko ist unter gewaltigem Jubel auf dem Maidan in Kiew empfangen worden. Eine Menge aus Zehntausenden Menschen feierte die frühere Regierungschefin lautstark. Sie forderte die Regierungsgegner zum weiteren Kampf gegen Präsident Viktor Janukowitsch auf. «Kämpft bis zum Ende!», sagte sie auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew.
Sie sprach unter starkem Jubel mit zitternder Stimme zu Zehntausenden Menschen, während sie im Rollstuhl sass. Sie war wenige Stunden zuvor aus ihrem Haftkrankenhaus in Charkow entlassen worden. Die emotionale Rede rührte viele Menschen auf dem Platz zu Tränen. Auch Timoschenko selbst rang mit der Fassung.
«Helden sterben nie, sie sind immer mit uns», sagte die frühere Regierungschefin im Andenken an die vielen Toten unter den Demonstranten. «Als Scharfschützen mit Kugeln in die Herzen unserer Jungen feuerten, trafen sie auch unsere Herzen, und dort werden diese Wunden immer bleiben», sagte sie.
Timoschenko: «Ihr müsst bleiben bis zum Ende»
«Wir haben es nicht auf friedliche Weise erreicht, aber diese Jungen haben das Ende der Diktatur erreicht», sagte sie. Die Täter müssten bestraft werden.
Immer wieder warnte sie davor, den Maidan jetzt zu räumen. «Wenn irgendjemand Euch sagt, Ihr sollt nach Hause gehen, traut ihm nicht, geht bis zum letzten Schritt!», sagte die Politikerin.
«Ihr müsst bleiben bis zum Ende, bis Politiker gewählt sind, die das Vertrauen verdienen. Wir müssen es vollenden. Ihr habt ein neues Land verdient. Erlaubt ihnen nicht, ein Land aufzubauen, das ihr nicht wollt!», betonte Timoschenko.
Kandidatur um Präsidentschaft
Wie in einer Wahlrede warb Timoschenko um Vertrauen. «Ich werde die Garantin dafür sein, dass Euch niemand verrät und niemand Hinterzimmerabsprachen trifft», sagte sie. Zuvor hatte sie bereits angekündigt, bei den nächsten Präsidentenwahlen antreten zu wollen. «Ihr seid die Kraft, die Garantie dafür, dass es keinen Weg zurück gibt. Ihr habt alles verändert – nicht die Diplomaten, nicht die Welt.»
Unmittelbar nach ihrer Ankunft in Kiew hatte Timoschenko bereits einen direkten Kurs auf die EU gefordert. «Ich bin überzeugt, dass die Ukraine in nächster Zeit Mitglied der Europäischen Union sein und dies alles ändern wird», sagte sie. Janukowitsch hatte auf Druck Russlands eine EU-Annäherung auf Eis gelegt.
Timoschenko ist eine der Gallionsfiguren der Orangen Revolution von 2004/05 und eine der schärfsten Widersacherinnen von Präsident Viktor Janukowitsch, den das Parlament nahezu zeitgleich mit der Entlassung der 53-Jährigen absetzte.
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Vertraute neu an der Macht
Zuvor wurde der Timoschenko-Vertraute Alexander Turtschinow zum neuen Parlamentspräsidenten bestimmt. Das Parlament stimmte zudem dafür, dass die Freilassung Timoschenkos nicht mehr von Präsident Viktor Janukowitsch bestätigt werden muss.
Strafrecht angepasst
Das ukrainische Parlament hat zudem das Strafrecht geändert und damit die Weichen für eine Freilassung der ehemaligen Ministerpräsidentin und Oppositionsführerin Julia Timoschenko gestellt. Die Vorwürfe, die gegen Timoschenko erhoben werden, gelten dem neuen Gesetz zufolge nicht mehr als Straftat.
«Politisch motivierter Prozess»
Die bislang geltenden Passagen stammten noch aus der Sowjetzeit. Sie erlaubten es dem jeweiligen Machthaber, praktisch jeden politischen Gegner aus dem Verkehr zu ziehen.
Timoschenko war 2011 wegen Amtsmissbrauchs im Zusammenhang mit Verträgen mit Russland über Erdgaslieferungen zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Westliche Regierungen sprachen von einem politisch motivierten Prozess.
Die EU hatte es in den Verhandlungen über ein von Janukowitsch abgelehntes
Assoziierungsabkommen zur Bedingungen gemacht, dass die Ukraine Timoschenko die Ausreise nach Deutschland zur medizinischen Behandlung ermöglicht. Bei Timoschenko wurde schweres Rückenleiden diagnostiziert.