In Istanbul ist es auch in der vergangenen Nacht wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der türkischen Polizei gekommen. Es war die fünfte Protestnacht in Folge.
«Regierung, Rücktritt!»
Eine Gruppe von Demonstranten wurde nach einer friedlichen Kundgebung auf dem zentralen Taksim-Platz im Besiktas-Quartier von der Polizei mit Hilfe von Wasserwerfern und Tränengas gestoppt. «Regierung, Rücktritt!», forderten die Demonstranten. Dies berichtete der Nachrichtensender NTV. In Besiktas befindet sich auch das Istanbuler Büro von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.
Zuvor demonstrierten Zehntausende auf dem Taksim-Platz. Augenzeugen berichteten von einer feierlichen Stimmung. Viele Menschen hätten selbstgemalte Plakate gezeigt, auf denen sie Erdogan und seine islamisch-konservative Partei kritisierten oder veralberten. Die Polizei habe sich dort zurückgehalten.
Polizei nimmt Twitterer fest
Zusammenstösse zwischen Demonstranten und der Polizei gab es auch in anderen Städten. Demonstranten und türkische Medien berichteten, in der Stadt Tunceli im Osten habe sich die Polizei schwere Strassenkämpfe mit Demonstranten geliefert. Die Polizei habe auch dort Tränengas und Gummigeschosse eingesetzt.
In Izmir sollen 16 Personen in ihren Wohnungen festgenommen worden sein. Ihr Vergehen: Sie hatten unliebsame Nachrichten auf dem Kurznachrichtendienst Twitter verbreitetet, berichtete der Sender CNN Türk.
Dialogangebot mit Warnung
Am Dienstag, am fünften Tag der landesweiten Protestwelle, hatte sich die türkische Regierung erstmals um Deeskalation bemüht. Vizeregierungschef Bülent Arinc entschuldigte sich nach einem Treffen mit Staatspräsident Abdullah Gül für die Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten im Istanbuler Gezi-Park. An diesem Einsatz hatten sich die Proteste entzündet, bei denen bisher mindestens zwei Menschen getötet und mehr als 2300 weitere verletzt wurden.
Inzwischen richten sich die Demonstranten vor allem gegen den als immer autoritärer empfundenen Kurs Erdogans. Dieser hatte Extremisten für die Demonstrationen verantwortlich gemacht. Arinc warnte die Demonstranten, sich nicht mit illegalen Gruppen einzulassen.
Heute Mittwoch will Arinc mit Vertretern der Demonstranten zusammenkommen, wie der Sender CNN Türk berichtete.
Kritik aus Brüssel
Der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), hält den Umgang der türkischen Regierung mit Demonstranten für unvereinbar mit einer EU-Mitgliedschaft. «Um Mitglied der EU zu werden, muss man demokratische Standards einhalten. Wir sehen: Dazu ist er (der türkische Ministerpräsident Erdogan) in ganz bestimmten Momenten nicht bereit», sagte der SPD-Politiker im «ARD-Morgenmagazin». Auch der Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff bezeichnete das Verhalten der türkischen Regierung als «nicht mit europäischen Massstäben vereinbar».