SRF: Kann Recep Tayyip Erdogan mit seinem Besuch in Berlin in der Türkei punkten?
Reinhard Baumgarten: Auf jeden Fall. Erdogan ist ein Regierungschef, der zwar gewählt wurde, aber sein Gebaren ist doch irgendwie sehr osmanisch-sultanisch. Er hat sich eine Reihe von Journalisten ausgesucht, da ist keiner, der kritisch ist.
Doch für den EU-Beitritt hat er vergebens geworben in Berlin.
Frau Merkel ist gegenüber Erdogan in der Zwickmühle. Einerseits ist sie CDU-Vorsitzende und für eine «privilegierte Partnerschaft». Andererseits ist sie deutsche Regierungschefin und steht im Wort ihrer Vorgänger. Die SPD-Regierung unter Schröder hat damals gesagt, sie stehe voll und ganz hinter dem Ansinnen der Türkei, Vollmitglied zu werden. Aber Angela Merkel agiert in dieser Situation relativ geschickt. Es stimmt schon, Erdogan ist mit seinem Anliegen, wenn es denn überhaupt in Richtung Brüssel geht, nicht weitergekommen. Doch er hat auch eigene Absichten.
Was meinen Sie damit?
Erdogan hat Ende März Wahlen durchzustehen. Es sind zwar Kommunalwahlen, aber sie gelten als Stimmungsbarometer. Wenn er, respektive seine Partei, gut abschneiden, will er im Sommer möglicherweise als Präsidentschaftskandidat kandidieren. Und da will er natürlich gewinnen.
Will er die Türkei überhaupt in die EU führen?
Er hat gestern eine Pressekonferenz gegeben, da hat er nochmal deutlich gesagt, dass das eines seiner wichtigsten aussenpolitischen Ziele sei, wenn nicht das wichtigste. Aber wenn er sowohl in Brüssel als auch in Berlin alles, was in der Türkei innenpolitisch vor sich geht, als Verschwörungstheorien abtut und mit kruden Begründungen kommt, kann er nicht erwarten, dass die Leute alles glauben. Erdogan hat die Gezi-Park-Bewegung niederknüppeln lassen, er geht gegen Staatsanwälte und Polzisten vor, die Korruptionsskandalen und Bestechungen nachgehen. Er agiert gegen die Zentralbank, in dem er ein Gesetz erlässt, das deren Kompetenzen einschränkt, weil er mit der Zinserhöhung nicht einverstanden ist. Das ist ein Verständnis von Demokratie, mit dem er in Brüssel und in Berlin nicht ankommt.
Wahlkampf macht Erdogan auch in Berlin im Tempodrome, wo ihm 10‘000 Menschen zuhören werden. Ist er wirklich auf die Stimmen der Türken in Deutschland angewiesen?
Nein. Da gibt es ja auch einige, die gegen ihn sind, denken wir an die Kurden oder die Alewiten. Es geht ihm um das Bild, das via die Medien transportiert wird. ‹Unser Mann vor Ort, unser Mann spricht mit den Grossen in Brüssel und in Berlin. Und in Berlin spricht er zu seinem Volk, zu seinen Untertanen.› Das will er vermitteln. Erdogan ist ein geborener Wahlkämpfer. Er hat ja eine Predigerschule besucht und wenn er auftritt, predigt er. Es ist ein permanentes Werben um seine Anhänger. Es ist ein Mann der geliebt und gewählt werden möchte.
Und die Türken bleiben ihm treu?
Ja. Ich glaube, dass er mit seiner AKP bei den Kommunalwahlen an die 40 Prozent oder leicht darüber kommen wird. Sollte das nicht der Fall sein, wäre es eine Überraschung. Viele Türken sind froh über einen so grossen uns starken Mann, der mit den Mächtigen dieser Welt von Auge zu Auge auftritt. Das kommt gut an.