Die Ironie des Schicksals will es, dass mitten auf dem ölhaltigen Schiefergestein in North Dakota ein Indianer-Reservat sitzt. Als die Fracking-Methode vor vier Jahren aufkam, verwandelte sich die verlassene und arme Prärie über Nacht in ein Mekka der Schwerindustrie. Seitdem brausen LKWs über die Landstrassen, schiessen Ölpumpen und Tanks aus dem Boden.
Brennende Gasflammen wie in Nigeria
Richard Crow Hearts Familie lebt seit Generationen im Reservat. Blickt er heute aus dem Fenster, sieht er Gasflammen am Horizont: «Überall ist blauer Dunst», sagt der Naturheilpraktiker zu «10vor10». «Was alle Fortschritt nennen, ist für mich nichts als Zerstörung».
Beim Fracking werden Millionen Liter Wasser mit giftigen Chemikalien versetzt in den Schieferboden gepresst, um Öl und Gas herauszulösen. Eigentlich sollten die Rohstoffe mit Pipelines befördert werden.
Aber weil Öl wertvoller ist und die Infrastruktur dem Boom hinterher hinkt, werden 30 Prozent des Gases in North Dakota verbrannt. Kritiker sagen, jährlich gelange gleich viel CO2 in die Luft, wie eine Million Autos ausstossen.
Die Ambivalenz der Indianer
Die Indianerkostüme am traditionellen Pow Wow-Tanz erscheinen anachronistisch. Die meisten Mitglieder des Naturvolks äussern sich zurückhaltend. Sie wissen, dass der Boom die Arbeitslosigkeit von 40 auf wenige Prozent reduziert hat.
Und viele profitieren auch ganz direkt: Rund die Hälfte des Stammes besitzt Land und vermietet es an die Ölmultis. Die Firmen zahlen einen Einmalbetrag von 2500 Dollar pro Hektar Land, um zu sondieren, ob die Ölbohrung sich lohnt.
Wenn Pumpen aufgestellt und Öl und Gas gefördert werden, bezahlen die Konzerne den Indianern zusätzlich 15 Prozent des Ertrags. Sogar Naturschützer Richard Crows Heart erhält Geld: Rund 300 Dollar pro Monat, sagt er.
Er hat das Land von seiner Mutter geerbt und muss den monatlichen Ertrag von einer Ölpumpe über 3000 Dollar mit seinen neun Geschwistern teilen.
Lecks: Ölfirmen wollen nicht haftbar gemacht werden
Weniger still hält sich ein Grossbauer ausserhalb des Reservats. Daryl Peterson hat mehrere Lecks auf dem Land von Bauern in seiner Gegend dokumentiert. Pipelines sind geborsten, worauf giftige Salzlauge ausgeflossen ist und den Boden und das Grundwasser verschmutzt hat, so dass auf Dauer nichts mehr wächst.
Peterson steht auf seinem Land, das von einer Salzkruste umgeben ist und zeigt «10vor10» den Bericht der Ölfirma: Beim Bruch der Pipeline sei nichts ausgelaufen, schreibt Petro Harvester mit Sitz in Texas. Nur dank dem Öffentlichkeitsgesetz gelangte Peterson in den Besitz des Berichts der Gesundheitsbehörde: Diese schätzt die ausgelaufene Salzlauge auf 400-600 Barrels (1 Barrel entspricht 159 Litern).
Kein Einzelfall, sagt Peterson: «Die Ölfirmen beziffern den Schaden möglichst klein, damit sie nicht haftbar gemacht werden können.» Der Konzern habe ihm keine Entschädigung bezahlt. Der Farmer prozessiert seit über einem Jahr, was ihn laut eigenen Angaben schon 100'000 Dollar gekostet hat. Petro Harvester nimmt nicht Stellung.
Behörden: Überfordert und untätig
Die Bauern kritisieren auch die Behörden. Es würden kaum Bussen ausgesprochen, sagen sie und vermuten, dass die Regulatoren aus wirtschaftlichen Gründen nicht gegen die Ölkonzerne vorgehen. Letztes Jahr wurden über 2000 Lecks gemeldet, Dave Glatts Behörde hat aber nur 60 Bussen verhängt.
Glatt zu «10vor10»: «Wir hinken dem Boom hinterher.» Tatsache ist: Fast 400'000 Dollar und damit über zehn Prozent der Wahlkampfgelder für den Gouverneur von North Dakota stammen von Ölmultis. Dave Glatt bestreitet einen Zusammenhang.
Geld, Frauen, Alkohol – Ölboom verdirbt die Männer
Umweltschäden sind die offensichtlichen Schattenseiten des Booms. Aber es gibt noch eine andere: «In unserer Stadt ist nichts mehr wie zuvor», sagt Polizist Luke Olsen im 20'000 Einwohner zählenden Williston.
Seit dem Ölboom habe sich die Kriminalität vervielfacht – vor allem Gewaltverbrechen und der Konsum von Heroin und Kokain, geliefert von den mexikanischen Kartellen. Täter sind Männer aus dem ganzen Land, die in Campern leben und schnelles Geld machen.
In den zwei Stripclubs von Williston sind Schlägereien an der Tagesordnung. Shandy aus Oklahoma floh ins Frauenhaus, nachdem ihr Freund sie drei Monaten lang im Camper gefangen gehalten und geschlagen hatte.
Der Ölboom habe die Männer verdorben, sagt sie. «Hier geht es nur noch darum, wer am meisten verdient, wer am meisten trinken und die meisten Frauen kontrollieren kann.»